6.04.2012

Und täglich grüßt Großdeutschland

Die in Berlin erscheinende "Islamische Zeitung" bringt heute einen Beitrag zu Syrien, den ich zum Teil ungekürzt hier einstelle: "In Berlin startet Vorbereitungen für den Umbau Syriens zu einer liberalen Marktwirtschaft. Ende letzter Woche hat unter deutschem Vorsitz eine multinationale "Working Group" die Arbeit aufgenommen; sie soll unmittelbar nach dem Sturz des Assad-Regimes ökonomische Sofortmaßnahmen in die Wege leiten, darunter die Koordinierung von Hilfsprojekten, aber auch die Durchführung von Wirtschaftsreformen. Gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten richtet die Bundesregierung dazu nun ein "Sekretariat" ein. Es wird von einem Deutschen mit Afghanistan-Erfahrung geführt. Die Entstaatlichung der syrischen Wirtschaft hatte Berlin schon in Kooperation mit dem Assad-Regime gefördert; die beginnende Liberalisierung trieb jedoch Teile der Bevölkerung in den Bankrott, was zum Aufstand gegen das Regime beitrug. Erste Entwürfe für eine neue syrische Wirtschaftsordnung liegen Berlin mittlerweile vor. Verfasser ist ein Aktivist des Syrian National Council (SNC), der von zahlreichen Oppositionellen scharf kritisiert wird, weil die Muslimbruderschaft in ihm eine starke Stellung innehat. Führende SNC-Positionen halten syrische Exilpolitiker aus Washington, die eine westliche Intervention à la Kosovo verlangen und als Vorbild für die syrische Opposition die UÇK benennen. Unter deutschem Ko-Vorsitz ist Ende letzter Woche in Abu Dhabi erstmals eine multinationale "Arbeitsgruppe" zusammengekommen, die ökonomische Sofortmaßnahmen für die Zeit nach dem Sturz des Assad-Regimes in die Wege leiten soll. Eingesetzt wurde die Arbeitsgruppe ("Working Group on Economic Recovery and Development of the Friends of the Syrian People") am 1. April in Istanbul von der "Gruppe der Freunde des syrischen Volkes" ("Group of Friends of the Syrian People"). Bei dieser handelt es sich um ein Bündnis westlicher und prowestlicher Staaten, die sich im syrischen Bürgerkrieg auf die Seite der Opposition geschlagen haben und vorwiegend mit dem Syrian National Council (SNC) kooperieren, einer Exilorganisation. Über eine Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat verfügt die "Gruppe der Freunde des syrischen Volkes" nicht. Dasselbe gilt für ihre "Arbeitsgruppe" zum ökonomischen Wiederaufbau Syriens, die als "zentrales Forum" für die notwendigen Wirtschaftsmaßnahmen dienen soll - selbstermächtigt.
  Deutschland federführend
 Wie der deutsche Diplomat Clemens von Goetze erklärt, der gemeinsam mit einem Kollegen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten die Zusammenkunft Ende letzter Woche leitete, geht es der "Working Group" nicht nur um unmittelbare Nothilfe nach dem Sturz des Regimes. Vielmehr sei jetzt "eine gute Zeit, um eine langfristige Perspektive für das Land zu öffnen". Als Modell gilt dabei der Marshall-Plan, mit dem die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa die materielle Grundlage für den Aufbau des westlichen Bündnisses legten. Die "Working Group" hat mehrere Untergruppen eingerichtet, die sich jeweils speziellen Themen widmen sollen. In der internationalen Arbeitsteilung, auf die sich die Mitgliedstaaten nun offiziell geeinigt haben, ist Deutschland federführend mit "Wirtschaftspolitik und Reform" befasst. Dabei gehe es explizit um "langfristige Strategien" , die dem Übergang Syriens "von einer zentral geleiteten Wirtschaft in eine Marktwirtschaft" dienen sollten, heißt es in Berichten. Die "Working Group" richtet dazu ein Sekretariat ein, für das Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate jeweils 600.000 Euro zur Verfügung stellen wollen. Als Leiter ist der Deutsche Gunnar Wälzholz vorgesehen. Wälzholz leitete zuletzt die Filiale der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Afghanistan.
 Zuckerbrot und Peitsche
Wie ein Teilnehmer der letztwöchigen Zusammenkunft bestätigte, geht es bei den Maßnahmen, die nun unter deutscher Führung auf den Weg gebracht werden sollen, allerdings auch um kurzfristige Ziele. So sollen Wirtschaftsprojekte diejenigen Kräfte in Syrien anziehen, "die sich an der Revolte noch nicht in vollem Umfang beteiligen oder noch zögern, sie zu unterstützen". Damit bilden sie eine Art Gegenstück zu den Wirtschaftssanktionen, die - allerdings nicht per Anreiz, sondern durch Druck - ebenfalls regimetreue Unternehmer zum Überlaufen bewegen sollen. Entsprechend erklärt die "Working Group", die Sanktionen könnten aufgehoben werden, "sobald ihre Ziele erreicht sind" - also nach Assads Sturz, den ein Seitenwechsel interessierter Wirtschaftskreise begünstigen würde".

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