1.17.2009

Dürfen Palästinenser auf Israelis schiessen?


Palästina zwischen 1946 und 2008. Die Palästinenser haben bis heute 80 Prozent ihrer Heimat verloren, Millionen Palästinenser leben als Flüchtlinge im eigenen Land oder in Nachbarländern.

Dürfen die Palästinenser auf Israelis schießen und umgekehrt? Eigentlich nicht! Nur eben hat die Aufklärung es nie geschafft, Gewaltexzesse wie Kriege aus den Verhältnissen der Völker zu verbannen. Im Gegenteil: Gerade die gegenwärtig dramatische Militarisierung der Außenpolitik (wie auch der Innenpolitik) der Bundesrepublik Deutschland zeigt, wie die Vernunft der Aufklärung erneut versagt.

Also. Dürfen Palästinenser auf Israelis schiessen? Nein, nicht, wenn die Völkergemeinschaft, repräsentiert durch die Vereinten Nationen, nicht nur den Juden aus aller Welt, wie 1947 geschehen, sondern auch den Palästinensern das Recht auf einen eigenen Staat zuspricht und durchsetzt. Das ist bis heute nicht geschehen, weil Israel und die USA das verhindert haben, beispielsweise durch immer neue kriegerische Auseinandersetzungen mit immer neuem Landraub, immer mehr Vertreibungen und Enteignungen der Palästinenser ( Karte, Teil 4).
Über Jahrzehnte hinweg hat die UNO per UN-Resolutionen tatsächlich versucht, die Israelis zu bewegen, die rigide Okkupationspolitik zu begrenzen, bzw. sich hinter die Grenzen von 1967 zurückzuziehen. Israel hat die meisten der UN-Resolutionen nicht befolgt oder erfüllt.
In dieser Lage mussten und müssen sich die Palästinenser entscheiden zwischen den Alternativen, einen Befreiungskampf zu führen, an dessen Ende ein palästinensischer (lebensfähiger nicht von Israel abhängiger) Staat steht. Die andere Möglichkeit besteht in der Erfüllung der israelischen Forderung, dass die Hamas (nur um sie geht es noch beim gegenwärtigen israelischen Morden und Brandschatzen) das Existenzrecht des Staates Israel anerkennt - ohne dass Israel das Existenzrecht und die Grenzen eines solchen unabhängigen Staates Palästina anerkennt.
Die Antwort steckt in der Frage. Palästina - hier die Hamas als durch freie und demokratische Wahlen einzige legitimierte Vertreterin des palästinensischen Volkes - führt einen asymmetrischen Befreiungskrieg. Sie hat das Recht gegen Israel zu kämpfen. Und demzufolge auf Israelis zu schießen.

1.14.2009

Sinnlose Tode - Warum habe ich zu (m)einem Einsatz in Gaza Nein gesagt?

Bild aus dem Gazastreifen. Yitzchak Ben Mocha will
nicht teilnehmen am Gemetzel an den Palästinensern. Foto: www.thewe.cc


Yitzchak Ben Mocha. Samstags abends um viertel nach Elf kam der Anruf. Meine Freundin Nora und ich waren bei Freunden und verfolgten den Beginn der Bodenoffensive der IDF (Israelische Verteidigungskräfte – Selbstbezeichnung der israelischen Armee, Red.) in den Nachrichten. Die Bilder beschworen sofort Zorn und Trauer, vor allem jedoch Frustration und Angst in mir herauf. Frustration, weil Hunderte und Tausende Menschen – Palästinenser und Israelis – während der vergangenen acht Kampftage sinnlos getötet und verletzt worden waren. Angst wegen des vielen Bluts, das in den nächsten Tagen noch genauso sinnlos vergossen werden würde. Doch dann klingelte mein Telefon und versetzte mich im Bruchteil einer Sekunde aus der Position des externen Beobachters wieder einmal in die des Beteiligten. Obwohl das Display »Nummer unbekannt« anzeigte, wußte ich genau, wer zu dieser späten Stunde anrief. Nur wenige Minuten zuvor hatte einer unserer Freunde denselben Anruf bekommen. Eine automatische Ansage informierte mich über meine Noteinberufung und die Pflicht, mich am folgenden Morgen um acht Uhr am angegebenen Ort einzufinden. Wieder einmal mußte ich meinen großen Rucksack packen. Währenddessen versuchte ich zu erraten, was der nächste Tag bringen würde. Warum wurde ich auch diesmal einberufen? Hatte ich nicht bereits klar und eindeutig erklärt, daß ich mich weigere, mich in irgendeiner Weise an der Besatzung und dem Kampf gegen das palästinensische Volk zu beteiligen? Würde meine Weigerung dieses Mal mit mindestens 28 Tagen Haft enden? Oder würde ich ein weiteres Mal »wie durch ein Wunder« nach Hause entlassen werden? Am nächsten Morgen erschien ich pünktlich um acht Uhr vor dem Offizier meiner Einheit und meldete mich zum Dienst. Als ich meine Ausrüstung abholen wollte, stellte sich heraus, daß mein Name auf keiner Liste stand und ich keiner Aufgabe zugeteilt worden war. Also wurde mir befohlen, mich an die Seite zu setzen und auf weitere Befehle zu warten. Ich wartete und wartete ... und wartete. Alles in allem wartete ich zwei Tage lang, bis ich am Abend des zweiten Tags meinen ersten Auftrag erhielt: Ich sollte am nächsten Morgen Zelte für die Soldaten im Kampfeinsatz aufschlagen. Ich antwortete meinem Offizier: »Das werde ich nicht tun.« Am folgenden Morgen wurde ich nach Hause geschickt. Man sagte mir, man werde mich wieder anrufen, wenn die Lage es erfordere. Bist jetzt haben sie sich nicht gemeldet ... In den Medien verkündet die IDF, daß sich mehr Soldaten zum Dienst melden, als einberufen werden und daß sich selbst ehemalige Deserteure zum Dienst melden, die jetzt in die Armee zurückkehren und kämpfen wollen. Keiner dieser Berichte stimmt so ganz; doch sie schaffen den Eindruck, unter den Soldaten bestehe über die Rechtmäßigkeit des derzeitigen Kampfes gegen die Hamas in Gaza breiter Konsens und Zusammenhalt. Gleichzeitig sollen sie die Tatsache verschleiern, daß sich im Laufe der Jahre viele Soldaten geweigert haben und noch weigern, an den Kämpfen und der Fortführung der Besatzung teilzunehmen, deren Opfer in erster Linie die palästinensische Bevölkerung ist. In der Vergangenheit hat die IDF gegen Personen, die den Dienst in der Armee aus Gewissensgründen verweigert haben, einen erbitterten Kampf geführt. Sie hat gegen sie Disziplinarverfahren geführt und sie, in der Hoffnung, ihren Willen zu brechen, oft viele Wochen lang eingesperrt. Die IDF mußte jedoch feststellen, daß die Haft den Geist dieser Menschen nicht nur nicht brechen konnte, sondern sie im Gegenteil in ihrer Haltung gestärkt hat. Zudem hat das breite Echo, das ihre Geschichte in den Medien ausgelöst hat, ihre Botschaft verstärkt. Anscheinend hat die Armee aus diesem Grund im Umgang mit Verweigerern eine neue Strategie eingeschlagen: sie ignoriert, leugnet und verschleiert das Phänomen, um statt dessen ein Trugbild zu präsentieren, eine Realität, in der Ziel und Zweck des Armeediensts wie auch der Armeedienst als solcher volle Unterstützung erfahren.
Die interessantere und entscheidende Frage ist und bleibt jedoch: Wie kommt ein Reservist einer Fallschirmspringer-Eliteeinheit, der drei Jahre regulären Armeedienst absolviert hat, zu der glasklaren Schlußfolgerung, daß es seine Pflicht ist zu sagen: »Schluß jetzt!«, daß es seine Pflicht ist, den Armeedienst zu verweigern? Ich bin in die IDF eingetreten, weil ich Teil einer Armee sein wollte, die Israel verteidigt. Eine Armee, deren Aufgabe es ist, den Staat und seine Bürger gegen Terroristen und Terrororganisationen zu schützen. Nicht gegen das palästinensische Volk und seine Freiheitskämpfer, sondern gegen fundamentalistische Extremisten, denen es nicht um Frieden oder Freiheit geht, sondern um Blutvergießen und Krieg. Nicht gegen palästinensische Bauern, die gegen den unverhohlenen Raub ihrer Ländereien protestieren, sondern gegen jene, die wahllos Busse voller Männer, Frauen und Kinder in die Luft sprengen. Ich war immer für Frieden und für ein Ende der Besatzung – auch als ich in die Armee eintrat. Doch damals, mit 18 Jahren, war ich noch naiv genug zu glauben, bis unsere politische Führung diplomatische Lösungen für den Frieden fände, sei es unsere Pflicht, in die Armee einzutreten und unsere Heimat zu verteidigen und zu beschützen. Doch im Laufe meines Armeediensts setzte sich in meinem Bewußtsein nach und nach die Erkenntnis durch, daß der Staat Israel weder dem Ende der Besatzung, noch dem Leiden eines ganzen Volkes noch dem Leben der eingesetzten Soldaten auf politischer oder sozialer Ebene Priorität einräumt. Wie viele andere, die aus Gewissensgründen verweigern, bin ich kein Pazifist. Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß es in unserer Welt nicht immer friedlich zugeht; deshalb ist es manchmal unvermeidlich, zum Zwecke der Selbstverteidigung auf gewaltsame Mittel zurückzugreifen. Mir ist auch bewußt, wie notwendig die Existenz einer Verteidigungsarmee für den Staat Israel ist. Aus diesem Grund haben einige von uns ihre Bereitschaft erklärt, an jedem Training teilzunehmen, solange es dazu dient, unsere Fähigkeit aufrechtzuerhalten, Teil dieser Verteidigungsarmee zu sein. Doch solange die Besatzung weitergeht, werden wir uns in keiner Weise an den Einsätzen der IDF beteiligen, weder in Zeiten des Krieges noch in Zeiten des Friedens, weder als Soldaten an der Front noch bei den Hilfstruppen im Hinterland.
Übersetzung: Endy Hagen
Gefunden in "Junge Welt", 14.01.2009, Seite 3

1.13.2009

Neulich in meinem E-Mail-Postfach


Sehr geehrter Herr Z,
eine schön gewachsene Brust unterstreicht die Harmonie des weiblichen Körpers und verleiht einer Frau Selbstsicherheit und Freude an Ihrem Aussehen.
Umso bedauerlicher für die Betroffenen, wenn das Brustwachstum ausbleibt oder die Brust frühzeitig absinkt.
Wenn Sie sich zu den Betroffenen zählen, dann vereinbaren Sie doch gleich ein unverbindliches Beratungsgespräch zum Thema Brustkorrektur.

Was plant Israel?

Die Regierung Israels setzt ihren Krieg im Gaza-Gebiet fort, ohne den Stimmen der Weltöffentlichkeit, ohne dem UN-Sicherheitsrat, ohne auch der eigenen Friedensbewegung ernsthaft Beachtung zu schenken. Die Strategie der vergangenen drei Jahre seit der legitimen Wahl der Hamas in Gaza, die Hamas gegen die eigene Bevölkerung auszuspielen und auf einen inneren Aufstand zu setzen – die Hoffnung auf eine vollständige Isolierung dieser Bewegung – ist gescheitert. Freilich sind die Resultate von Isolation, Embargo und Abriegelung fatal: Bereits vor dem derzeitigen völkerrechtswidrigen Krieg lebten in Gaza 79 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze, seit der Schließung der Grenzübergänge am 12. Juni 2007 stehen, nach Einschätzung der Weltbank, 98 Prozent der Betriebe in Gaza still. Die dortige Bevölkerung lebt, wie Tony Blair sagt, in einer Hölle. Und dennoch kein Aufstand.
Und auch der derzeitige Krieg wird nicht das Ende der Raketenbeschüsse auf das Territorium Israels bringen. Man muss kein Militär sein, um zu wissen, dass das Bombardement und der Bodenkrieg dieser Tage die Position der Widerständler gegen die Regierung in Jerusalem eher noch verbessern werden – nicht nur in Gaza.
Was also wollen die Olmert, Livni und Barak? Drei Dinge sollten bedacht werden: Zum Einen geht es um eine inner-israelische Auseinandersetzung um die kommende Regierung, hierbei unter Anderem um die Versicherung einiger fundamentalistischer Stimmen in der Knesset; Außenministerin Livni scheiterte vor einigen Wochen bei ihrem Versuch einer Regierungsbildung. Zum Anderen ist Israel in den vergangenen Jahrzehnten zu einem starken Rüstungsproduzenten geworden mit einer extrem hohen Exportquote: Im Jahr 2006 lag das kleine Land mit seinen 7,5 Millionen Menschen knapp hinter Russland (150 Mio.). Auch drängt ein jedes Militär wie auch eine jede Rüstungsindustrie darauf, die im eigenen Land produzierten Waffen der Realität auszusetzen…
Eine dritte Überlegung betrifft Iran, die Orientierungsnation der islamischen Welt. Wie schon beim Krieg gegen Libanon in 2006 werden von Israel zuweilen Meldungen lanciert, die iranische Regierung unterstütze, wie damals die Hizbollah, heute die Hamas; was ein israelisches Bombardement der iranischen Atomanlagen zur Folge haben könnte. Dann allerdings würde der gesamte Nahe Osten brennen. Johannes M. Becker

T:I:S, 12. Januar 2009. Erschienen in der Oberhessischen Presse vom 12. Januar 2009

1.12.2009

2009: Der Wahnsinn geht weiter

Wieso ist es eigentlich so, dass ich mir seit Jahresbeginn immer wieder nur verwundert die Augen reiben kann? Der Staat, der noch in der ersten Hälfte 2008 für eigentlich nix mehr Geld hatte (abzusehen am Verfall von Schulen und Universitäten, am Zustand der Infrastruktur in unzähligen Kommunen in Deutschland, an der Bildungsmisere etc.) wirft plötzlich mit Milliarden um sich und meistens zielgenau in den Rachen derer, die uns mit den generalstabsmäßig geplanten Zockereien an den Börsen dieser Welt die Finanzkrise eingebrockt haben. Plötzlich soll es jetzt sogar noch ein Hilfspaket II (Konjunkturprogramm) geben für die arme gebeutelte Wirtschaft geben. 50 Milliarden sollen es werden. Zu dieser armen gebeutelten Wirtschaft gehört unter anderem nach allgemeinem Sprachgebrauch auch der Daimlerkonzern. Der schickt gerade an die 20.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Für dieFamilien dieser Mitarbeiter heißt das, den Gürtel enger zu schnallen. Um rund 20 Prozent wird das Einkommen der Mitarbeiter in der Zeit der Kurzarbeit sinken. Damit Daimler Lohnkosten sparen kann. Der Betriebsratsvorsitzende des Berliner Mercedes-Werkes, dessen Name ich heute auf B1 nicht so richtig mitbekommen habe, hat den Finger auf die wahre Ursache gelegt, als er in einem Rundfunkgespräch sinngemäß sagte, diese Krise sei vor allem eine Überproduktionskrise verbunden mit der Finanzkrise. Ich kann deshalb Daimler-Boß Zetsche nur das berümte New Yorker Motto "junp your fuckers" (am besten vor einen Zug) zurufen. So wie der Multimilliardär Merkle. Der hat die Konsequenzen aus dem Finanzdebakel gezogen, in das er sich gestürzt hatte, als er sich an der Börse bei bösartigen Zockerei mit VW-Aktien verspekuliert hatte. Warum machen das nicht auch Zetsche und Konsorten.
Ach ja, verwundert Augen reiben. Die somalischen Piraten, die den Tanker "Sirius Star" gegen gut drei Millionen Dollar freigegeben haben, waren auch nicht die hellsten. Sie haben sich um Anteile der Beute gestritten. Acht der Piraten setzten sich mit geschätzten 300.000 Dollar ab trotz eines aufziehenden Sturms . Von Fünf der acht fehlt nun jede Spur, zwei leichen wurden an den Strand abgetrieben und mehrere Plastiksäcke mit Dollarbündeln.
Dem irakischen Journalisten Montasser al-Saidi, aka der Schuhwerfer von Bagdad, soll in der kommenden Woche der Prozess gemacht werden. Kurz vor Prozeßbeginn heißt es nun bei "Al Arabiya", der Schuwerfer habe den irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki um Verzeihung für seine Tat um Verzeihung gebeten. Er habe Bedauern über seine "häßliche Tat" geäußert. Anstatt auf dem Sockel eines Denkmals zu landen, wird der irakische Fernsehjournalist vermutlich für sieben bis zehn Jahre im Knast landen.
Und sonst? Der baskische Regierungschef Ibarretxe und der Oppositionsführer Patxi Lopez sollten sich vor einem spanischen Gericht für Gespräche der Politiker mit Führern der ETA-nahen verbotenen Separatistenpartei Batasuna im Jahre 2006 verantworten. Nach Ansicht der Anklagebehörde (!) hatten die Politiker bei ihren Treffen mit den Batasuna-Führern im Jahr 2006 nicht gegen die Gesetze verstoßen. Die Richter in Bilbao gaben dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, das Verfahren einzustellen.
Anders in Deutschland. Die Bundesanwaltschaft wirft den Berlinern Axel H., Florian L. und Oliver R. vor, im Juli 2007 versucht zu haben, in Brandenburg (Havel) drei Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden sowie Mitglieder der »militanten gruppe« (mg) zu sein, die nach dem Strafgesetzbuch-Paragraphen 129 als »kriminelle Vereinigung« eingestuft wird.
Aber der Prozeß hat sich längst in eine Farce verwandelt. Ein Zeugnis dafür war die mittlerweile schon 188. Verhandlungstag. Ich zitiere aus "Junge Welt": "Seinen Namen sagte Zeuge 99100001 dann doch noch. Dafür trat Kriminaloberkommissar Nikolaos Alevisos vom Landeskriminalamt (LKA), der am Donnerstag vor dem Berliner Kammergericht zu Observation und Festnahme von drei Kriegsgegnern aussagen sollte, mit blonder Perücke, falschem Schnurrbart und Brille auf. . . Seit dreieinhalb Monaten bietet sich Prozeßbeteiligten, Presse und Publikum an jedem der mittlerweile 18 Verhandlungstage im Saal 700 des Kriminalgerichtsgebäudes Moabit dasselbe Schauspiel: Die an den Ermittlungen beteiligen Polizisten treten mehr oder weniger kostümiert in den Zeugenstand, berufen sich meist auf Erinnerungs- und Observationslücken oder auf ihre eingeschränkten Aussagegenehmigungen. In ihren wenigen konkreten Aussagen widersprechen sich die Beamten regelmäßig. Die Ereignisse in der Nacht vom 30. zum 31. Juli 2007 konnten daher auch am gestrigen Verhandlungstag nicht vollständig rekonstruiert werden. So konnte Kriminaloberkommissar Alevisos nach eigener Aussage nur etwa auf 20 Prozent der Strecke zum Tatort, einem Gelände der Firma MAN, jenes Fahrzeug beobachten, in dem er die drei Angeklagten vermutete. Um so detaillierter schilderte der Beamte die Festnahme. Mit »einfacher körperlicher Gewalt« habe er Florian L. vom Beifahrersitz gezogen und ihn auf der Straße »zu Fall gebracht«. Den Vorwurf der massiven Mißhandlung wies der Polizist zurück. Ein vom Vorsitzenden Richter Josef Hoch verlesenes Gutachten läßt allerdings an der Version des 41jährigen Kriminalbeamten zweifeln. Prellungen am Brustkorb, Hämatome im Gesicht und einen verletzten Unterkiefer diagnostizierte demnach ein Arzt vom Städtischen Klinikum Brandenburg. Dabei hatte L. keinen aktiven Widerstand gegen seine Verhaftung geleistet, wie der Ermittler zugeben mußte. Auch über den genauen Ort dieser Festnahme gibt es unterschiedliche Angaben. »Wir sind am 29. Dezember 2008 noch mal nach Brandenburg gefahren und haben festgestellt, daß die tatsächliche Ergreifung der Angeklagten nicht an der in den Gerichtsakten vermerkten Position stattgefunden hat«, gab Alevisos gestern zu Protokoll. Selbst über die Teilnehmer des Ortstermins gehen die Aussagen der Polizisten auseinander. So hatte Alevisos’ Kollege am Mittwoch, dem 17. Verhandlungstag, noch ausgesagt, daß ein weiterer Beamter bei der nachträglichen Inspektion dabei gewesen sei. Eigentlich eine Petitesse. Um so erstaunlicher, daß der LKA-Zeuge Alevisos die Anwesenheit seines Kollegen so vehement bestritt. »Wenn sich die Aussagen der Polizeizeugen schon bei Ereignissen widersprechen, die nur gut eine Woche zurückliegen, dann spricht das Bände über die Behauptungen zu Vorgängen, die bereits vor anderthalb Jahren stattgefunden haben«, konstatierte Rechtsanwalt Sven Lindemann, der einen der Angeklagten vertritt. Am 21. Januar wird die Verhandlung fortgesetzt.
Und was bringen die nächsten zehnTage?