8.21.2012

Muschi-Krawall-Alarm weltweit!

"Erst habe ich gemerkt", sagte ich, "wie es ist. Und dann habe ich verstanden, warum es so ist - und dann habe ich begriffen, warum es nicht anders sein kann. Und doch möchte ich, daß es anders wird. Es ist eine Frage der Kraft. Wenn man sich selber treu bleibt . . . . "  Kurt Tucholsky

"Pussy Riot"? War da was? Es muss was gewesen sein, wenn weltweit alle Gutmenschen - jedenfalls  die, die sich dafür halten und die, die sich dafür ausgeben - andere dazu anstiften, den "Pussy Riot"- Blödsinn fortzusetzen. Für die Medien war das mal wieder was.  So gab es beispielsweise:   

Pussy-Alarm beim "Stern"





Tja,  Das iss ja wohl auch der Sinn der ganzen Übung um Putin und "Pussy Riot", also den sehr interessierten Mainstream -Medien - und den Interessierten dahinter - eine Steilvorlage zu liefern. Dabei fällt mir  auf dem Ausschnitt auf, wie ungenau und schnelllebig die Zeit ist. "Zwei Jahre Straflager für 40 Sekunden", macht der "Stern" auf und verkündet nebenan "Zwei Jahre Lager für 60 Sekunden Punk".  Hätte die Richterin dann nicht drei Jahre für 60 Sekunden verhängen sollen? Die Richterin hatte von sich aus den "Auftritt" verkürzt.
Ungeachtet dessen sei die Empörung weltweit und groß, meint "Stern".

Leserpost "(in meiner Leib- und Magenzeitung): "Man kann es nicht mehr hören, sehen oder lesen. Ein Prozess über drei sogenannte Künstlerinnen schockt die Regierungen der westlichen Welt. Da wurden alle Register gezogen, um den Präsidenten Rußlands, seine Politik und die erreichten Pluspunkte zu diffamieren. Unserem Westen wäre es wohl lieber, einen Tanzbären (Jelzin) wieder zu haben, um auf Russland mehr Einfluss ausüben zu können. J. K., Dresden.

Speichel-Online meldet: "Prominente Schriftsteller und Intellektuelle wollen in einer gemeinschaftlichen Lesung Texte von "Pussy Riot" vortragen. Unter den Teilnehmern sind die Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek und Mario Vargas Llosa, sowie der britische Autor Hanif Kureshi. Sie wollen in einer gemeinschaftlichen Lesung Texte der russischen Künstlergruppe vortragen, insbesondere deren Aussagen vor Gericht. Zu der Solidaritätsaktion hatte das internationale Literaturfestival Berlin aufgerufen: Autoren aus aller Welt "verneigen sich vor Nadeschda Tolokonnikowa, Jekatarina Samuzewitsch, Maria Alechina", sagte ein Festivalsprecher. Die Frauen hätten mit ihrer Kunstaktion der Welt gezeigt, "dass es ein anderes Russland gibt, das sich weder von dieser Kirche noch von der politisch herrschenden Klasse die Art und Weise ihres Ausdrucks verbieten lässt",

Liebe Elfriede Jelinek!
Schreiben Sie wieder mal was Schönes. Vielleicht klappts ja noch mal.
Sehen Sie mal,  Barack Obama ist schließlich sogar "Friedensnobelpreisträger" . . ..

Leserpost II: "Man stelle sich einmal vor, eine deutsche Mädchenband mit dem schönen Namen "MuschiKrawall" würde ein jüdisches Gotteshaus stürmen, um dort mit Tanz und lauter Musik gegen die Lieferung (Schenkung) von atomwaffenfähigen U-Booten an den Staat Israel zu protestieren und den Rücktritt der Kanzlerin zu fordern. . . . Wir alle täten wirklich gut daran, nicht mit den Fingern auf andere zu zeigen, sondern uns mit unserem eigenen Dreck zu beschäftigen. Björn F., Dresden.

Vom weltweiten Protest-Entsetzen erfasst worden sein, soll auch Wolodja Kaminer. Hm? Da fehlen eigentlich nur noch zwei, nämlich Klitschko und Klatschko. Was heißt hier keine Russen? Das weiss ich! Aber die ham ja auch so´n Problem an der Backe. Lesen wir mal bei "telepolis" das hier: "Am Freitag fällten vier FEMEN-Mitglieder (für die die sich alles gerne merken. d.A.) Inna Schewtschenko, Oxana Schatschko, Tanja aus der Ukraine und Xenia aus Kanada) ein Flurkreuz vor dem ehemaligen Oktoberpalast in der ukrainischen Hauptstadt als Zeichen des Protestes gegen die Politik der Russisch-Orthodoxen Kirche und die Verurteilung der drei Politaktivistinnen von "Pussy Riot". Dazu verbreiteten sie eine Presseerklärung, in der sie sich solidarisch mit den Opfern des "Regimes der Popen und des Kremls" erklären. Sie riefen alle "gesunden Kräfte der Gesellschaft" dazu auf, "unbarmherzig die überholten religiösen Vorurteile aus den Hirnen herauszusägen, die der Diktatur als Stütze dienen und die Entwicklung der Demokratie und die Freiheit der Frauen behindern". Dabei warnen sie "Putin und Gundajew" (Kyrill I., der Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats) davor, dass FEMEN im Falle einer Verurteilung von "Pussy Riot" ihre "strafenden scharfen Motorsägen" auf den "Abschaum" lenken, der "für die Leiden der völlig unschuldigen Frauen verantwortlich ist".  NUR:  Das von ihnen erwählte Kreuz steht in keiner Verbindung mit der Russisch- Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, gegen die sich der Akt eigentlich richten sollte. Im Gegenteil wurde es 2004 während der "Orangen Revolution" von griechisch-katholischen Ukrainern aus dem Westen des Landes in Gedenken an die Opfer der stalinistischen Repressionen errichtet. Das Kreuz stand vor dem Internationalen Zentrum für Kultur und Kunst unweit des zentralen Platzes von Kiew, dem Maidan. UND WEITER: Bislang sind die FEMEN-Frauen bei ihren Aktionen in der Ukraine mit kleineren Ordnungsstrafen und Gefängnis von bis zu 15 Tagen davongekommen. Dieses Mal wird es offenbar nicht dabei bleiben. Die Kiewer Miliz leitete aufgrund dieses vandalistischen Aktes ein Verfahren wegen Gruppen-Rowdytums ein. Damit drohen den Beteiligten bis zu vier Jahre Gefängnis.

Leserpost III: "Die Medien richten seit Wochen unsere Aufmerksamkeit auf die drei Frauen von "Pussy Riot"in Russland. Nun haben wir wieder einen Grund, uns über Ungerechtigkeit zu empören. Ich frage mich dabei, welche Gründe führen dazu, ein solches Ereignis zum Weltproblem für Gerechtigkeit zu m? Haben wir nicht genug eigene und wichtigere Probleme . . . Ist die Einmichung in die Wertvorstellungen Russlands Fortsezung des Kalten Krieges?" Hans L. Niesky

Tja, und zuguterletzt das hier: Köln - Drei Nachahmer der russischen Frauen-Punkband "Pussy Riot" haben am Sonntag einen Gottesdienst im Kölner Dom gestört. Sie wurden von Kirchenordnungskräften aus der Kathedrale gebracht, wie die Polizei am Abend mitteilte. Die Frau (20) sowie zwei Männer (23 und 35) hätten am Morgen Lieder gesungen und Plakate hochgehalten. Sie erhielten eine Anzeige wegen Störung der Religionsausübung, Hausfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsrecht.
Nach eigener Aussage wollten die drei Aktivisten Solidarität mit den in Russland zu Lagerhaft verurteilten drei Punk-Musikerinnen bekunden. Nach Aussage der Polizei leisteten sie keinen Widerstand, als sie aus der Kirche geführt wurden. Dompropst Norbert Feldhoff hatte bereits zu Beginn des Prozesses in Russland angekündigt, dass ein solcher Auftritt auch im Kölner Dom nicht toleriert würde: "Die Würde des Doms zwingt uns, dagegen vorzugehen."

Kringeln wir uns nicht mehr?

Schreibschrift in Seenot

Unsere deutsche Sprache hat es auch nicht leicht! Wir wissen mittlerweile alle, daß im Hundekuchen kein Hund drin ist und daß ein Zitronenfalter kein Küchengerät ist. Und dann steckt uns allen noch die letzte Rechtschreibreform tief in den Knochen, da man seither ohne Wörterbuch nicht mehr sicher schreiben kann. Vom Coffee-Shop, der Lounge und anderen Highlights zur After-Hour wollen wir internationalistisch aufgeschlossen gerne schweigen. Haben Sie eigentlich schon mal »Gratisgeschenk« gegoogelt? Macht 42 Millionen Einträge. Erst kürzlich berichtete das Hamburger Abendblatt von »runden Kugeln«. Und unsere Kinder? Angeblich schrumpft der von ihnen beherrschte Wortschatz. In den westlichen Bundesländern soll er sich seit den 1970er Jahren sogar halbiert haben. Dazu passen Pläne des Grundschulverbandes, die uns bekannte Schreibschrift (Schul-Ausgangsschrift beziehungsweise vereinfachte Ausgangsschrift) gegen eine Druckschrift (»Grundschrift«) zu ersetzen. Man meint, das Schreibenlernen würde den Kindern damit viel leichter fallen. Besonders Kinder aus dem sogenannten bildungsfernen Milieu bekämen so bessere Startmöglichkeiten im Land der begrenzten Bildungsmöglichkeiten. Kritiker verweisen darauf, daß die persönliche Handschrift dann der Vergangenheit angehöre und der nächste logische Schritt nur der sein kann, die Buchstaben gleich in die Tastatur einzugeben. In Hamburg ist die »Grundschrift« schon möglich. In Bayern wird bald darüber entschieden. In vielen Bundesländern werden bislang erst die Druckbuchstaben gelernt und dann erst die Schreibschrift. Sind wir bald alle schnörkellos? Kringeln wir uns nicht mehr? Der einzeln gestellte Druckbuchstabe, ist das nicht Isolation, Entfremdung und Stanzwerk? Das Einüben der Schreibschrift ist eine Kulturfertigkeit, die gleichzeitig Inhalt und Ergebnis einer hochverdichteten Koordinations- und Konzentrationsleistung ist. Andererseits zeigt die Geschichte der »deutschen Schreibschrift« (Sütterlin, Kurrent), daß Schreibschriften tatsächlich einmal aufgeschüttete Bildungsbarrieren einer aristokratischen Oberschicht waren und bürgerlichen und besonders proletarischen Schichten den Bildungserwerb künstlich erschwerten. Hieße das zukünftig, Bremens Grundschüler drucken und die in Hamburg schreiben in ihre Hefte? In diesem Sinne: »Schakkeline, Schastin, Käwinn – tu die Omma aus Meck-Pomm ma winken! Hagen Bonn

Quelle: "Junge Welt/Feuilleton/21.08.2012