Morgens halb neun in Deutschland. Der Kaffee dampft in der Tasse, das Brötchen knirscht angenehm unterm Messer. Im Fernseher läuft gewohnheitsmäßig das "morgenmagazin", dieses mal das von der ARD. Anna Planken, seit einiger Zeit Hauptmoderatorin der Sendung, brabbelt über den drohenden griechischen Staatsbankrott: Die Griechen hätten sowieso einen seltsame Mentalität. Die stellten beispielsweise nie Quittungen aus.
Gut, Anna Planken wollte eigentlich mal Tierärztin werden. Da hätte sie nie über die Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Ursachen und seltsamen Marotten eines Volkes für eine nie da gewesene Finanzkrise nachdenken müssen. Für die Fernsehzuschauer wäre es jedenfalls besser gewesen, sie wäre Tiermedizinerin geworden, nur müssten wir - falls wir das je erfahren hätten - jetzt die Tiere bedauern.
Apropos Marotte. Der Grieche an sich stellt nicht nur keine Quittungen aus, er hat auch sonst wenn es ums Zahlen geht, eine ziemlich eigenwillige Art, es zu tun. Der Grieche an sich - so beschreibt es Hans Eideneier in seinem Buch "Ärmellos in Griechenland" - lädt ein Dutzend Freunde (Parea/Essgemeinschaft) in ein Restaurant ein. Es wird manchmal stundenlang gegessen und getrunken. Bis es reicht. Der eingeladen hat, ruft dem Kellner zu: "Ton logariasmos parakalo" (Die Rechnung bitte). Den Betrag teilt er durch das Dutzend Freunde und nennt den Freunden den von jedem einzelnen zu zahlenden Rechnungsteil. Die legen ihren Anteil auf den Tisch und in aller Regel ist dabei auch noch ein ansehnliches Trinkgeld. Und alle sind´s zufrieden mit dem schönen Abend, bis auf den oder die den ganzen Abend "statt Hummer nur Pommes" gegessen hat.
Für meine Begriff funktioniert in Griechenland das komplette politische System. Ganz oben stehen zwei für griechische Verhältnisse mächtige Parteien, die Nea Demokratia (erzkonservativ) und die gegenwärtig die Regierung stellende PASOK (sozialdemokratisch), angeführt von zwei Herrscher-Dynastien. Die eine ist die Familie Karamanlis, die andere die Familie Papandreou. Kostas Karamanlis und die Nea Demokratia wurden voriges Jahr abgewählt, die Papandreous und die PASOK kamen an die Macht. Mindestens für die beiden genannten Regierungen gilt, dass sie gern mal zum Essen einladen, wahlweise die Europäische Union und in deren Schlepptau die europäischen internationalen Konzerne, allen voran die deutschen. Bei diesen Einladungen geht es nur um Hummer. So ermöglichte noch die Regierung Karamanlis mit einer Teilprivatisierung den Einstieg der Deutschen Telekom beim staatlichen Telefonunternehmen OTE. Wie befruchtend das sein kann verriet eine Meldung im "Handelsblatt": "Die Deutsche Telekom hat dank der Beteiligung an der griechischen OTE ihren Umsatz und Gewinn im dritten Quartal steigern können. Die Umsätze stiegen gegenüber dem Vorjahr um 5,2 Prozent auf 16,3 Mrd. Euro, wie der Bonner Konzern am Donnerstag mitteilte. Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) stieg genauso stark auf 5,5 Mrd. Euro. Ohne OTE wären Umsatz und operativer Gewinn gesunken. . . ".
Politische Landschaftspflege a la Siemens
Oder nehmen wir ein anderes die Rolle griechischen Politik und der internationalen Konzerne charakterisierendes Beispiel, das Beispiel Siemens. Der deutsche Konzern soll über Jahrzehnte hinweg in dem Land Funktionäre und Amtsträger bestochen haben. Dabei ging es um lukrative Aufträge wie die Digitalisierung des griechischen Telefonnetzes oder das Sicherheitssystem für die Olympischen Spiele 2004 an Land zu ziehen. Von rund 100 Millionen Euro Schmiergeldern seit Beginn der 1990er-Jahre berichtet etwa die Athener Zeitung "Kathimerini". Und das "Handelsblatt" schreibt: "Was darf es sein? Eine neue Waschmaschine vielleicht, ein Computer, oder eine Millionenspende für den Wahlkampf? Viele Jahre lang war Michalis Christoforakos bei griechischen Politikern als großzügiger Gönner geschätzt. Der frühere Chef von SiemensHellas soll sich stets spendabel gezeugt haben. Aber jetzt zittern viele griechische Abgeordnete vor ihm: Wenn Christoforakos auspackt, könnte so manche Politikerkarriere ein jähes Ende finden". Christoforakos habe über Jahre hinweg zwei Prozent des Jahresumsatzes
von Siemens Hellas für Zuwendungen an die beiden großen Parteien abgezweigt, sagten deutsche Siemens-Manager in den staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen und bei den internen Korruptionsermittlungen der Kanzlei Debevoise & Plimpton aus."Politische Landschaftspflege" habe Christoforakos das System genannt. So seien über ein weit verzweigtes Netz von Scheinfirmen und Auslandskonten zwischen den Jahren 1998 und 2005 umgerechnet 12,83 Mio. Euro an griechische Parteien und Politiker geflossen. Sollte sich das bestätigen, würden die Grundfesten des
politischen Systems in Griechenland gründlich erschüttert. In der griechischen Nea Dimokratia-Regierung folgte ein Skandal dem anderen. Der Bürochef des ehemaligen Handelsmarineministers ließ sich für die Vergabe von Subventionen für nicht lukrative Schiffsverbindungen von Reedern bezahlen (wie die FDP in Deutschland sich von den Hoteliers bezahlen ließen). Als dies rauskam, wurde er zwar von seinem Chef gefeuert, der ihn am nächsten Tag allerdings gleich wieder als "persönlichen Berater" im Stab unterbrachte. Die Gattin des amtierenden Finanzministers der (Regierung Karamanlis) ist Angestellte der Firma, die die Liegenschaften der Deutschen Telekom in Europa verwaltet. In den viereinhalb Jahren seit Amtsübernahme der Regierung durch die Nea Dimokratia hat sich das Vermögen der Dame um 329 Prozent erhöht.
Und wie geht es dem Griechen an sich? Griechenland / Griechenland gehört bei Gütern des täglichen Bedarfs zu den teuersten Ländern in Europa. Wie aus einer Untersuchung der Europäischen Kommission hervor geht, lag der Durchschnittspreis für eine Tasse Kaffee in Griechenland im Juni 2008 bei 2,70 € (Schweiz : 2,31 €); überdurchschnittlich teuer ist auch Milch. Der Grieche bezahlt für den Liter im Schnitt 1,31 €. Ebenfalls überdurchschnittlich teuer ist Brot (1 kg in GR: 1,31 €.
Beim Sozialranking liegt Griechenland unter allen EU-Staaten, auch den Neumitgliedern, an letzter Stelle. Das ergibt sich aus einer Studie des Instituts Berlinpolis e. V. für 2008. Damit ist die Tendenz gegenüber der letzten Studie 2006 gleichbleibend. Gemessen wurden 35 Einzelindikatoren aus den Jahren 2006 bis 2008 (überwiegend von Eurostat), die nach fünf Themenfeldern geordnet wurden: Einkommensverteilung und soziale Absicherung (Griechenland: Platz 21), Inklusion in den Arbeitsmarkt (Platz 22), Bildungs- und Ausbildungschancen (Platz 21), Geschlechtergleichstellung (Platz 23) sowie Generationenverhältnis (Platz 26). Spitzenplätze belegte Griechenland lediglich bei den Einzelindikatoren Kinder in erwerbslosen Haushalten (Platz 3), Armutsgeführdungsquote bei Frauen (Platz 3), geschlechtsspezifische Ausbildungsquote (Platz 5) sowie bei zwei Indikatoren, die die Stellung der Ausländer in der Gesellschaft betreffen: Beschäftigungsrisiko für Ausländer (Platz 1) und Schulleistung und Migrationshintergrund (Platz 5). Ganz oben auf der Liste stehen, wie schon 2006, die skandinavischen Länder Schweden und Dänemark, gefolgt von den Niederlanden und Finnland. Österreich liegt mit Platz 10 im vorderen Mittelfeld, Deutschland dagegen mit Platz 19 fast am Ende des unteren Mittelfeldes. Schwacher Trost für die Hellenen: Das "Bruderland" Zypern belegte Rang 8 und zählt damit noch zur Spitzengruppe. (alle statistischen Angaben sind entnommen aus Griechenland Zeitung).
Nun bittet Herr Papandreou wieder mal zu einer Parea. Dieses Mal ist das Volk eingeladen. Pommes wird es geben ausschließlich und verbunden mit der Bitte, sich doch möglichst auch die zu verkneifen und gefälligst die Rechnung zu bezahlen.