Proteste in Griechenland nach öffentlichem Selbstmord
Heike Schrader, Athen
Nach dem öffentlichen Selbstmord von Dimitris Christoulas am Mittwoch in der griechischen Hauptstadt wurde für Freitag abend im Internet erneut zu Protesten aufgerufen. Bereits am Mittwoch, aber auch am Donnerstag hatten am Syntagmaplatz Demonstranten gegen diesen »Mord durch Staat der Gläubiger« protestiert. Dabei ging die griechische Bereitschaftspolizei brutal gegen alle vor, die sich dem Parlament nähern wollten. Unter anderem wurde der Vorsitzende der Vereinigung griechischer Fotoreporter, Marios Lolos, durch Knüppelschläge schwer verletzt und muß wegen Schädelbruchs operiert werden. Gegen die brutale Polizeigewalt demonstrierten am Freitag mittag Journalisten, Fotoreporter und Techniker vor dem Ministerium für öffentliche Ordnung in Athen.
Der 77jährige Rentner hatte sich aus Protest gegen die Austeritätspolitik am Mittwoch nachmittag auf dem Syntagmaplatz direkt vor dem griechischen Parlament in Athen erschossen. Er wolle weder seinen Kindern Schulden hinterlassen, noch gezwungen sein, »im Müll nach Essen zu suchen«, heißt es in seinem Abschiedsbrief. Die neue Kollaborateursregierung habe jedoch ein würdiges Leben aufgrund einer Rente, für die er 35 Jahre ohne jede staatliche Unterstützung Beiträge gezahlt habe, mit ihrer Kürzungspolitik zunichte gemacht. Entgegen den Berichten in- und ausländischer Medien war Christoulas weder verschuldet, noch verübte er aus Verzweiflung Selbstmord. Er wähle diesen »würdigen Abgang«, weil ihm in seinem Alter die Kraft für einen bewaffneten Widerstand fehle, schrieb Christoulas in seinem Abschiedsbrief, auch wenn er nicht ausschließen wolle, daß er der zweite gewesen wäre, »wenn ein Grieche die Kalaschnikow ergriffen hätte«. »Ich glaube, daß die Jugendlichen ohne Zukunft eines Tages zu den Waffen greifen und die Verräter an der Nation auf dem Syntagmaplatz an den Füßen aufhängen werden, wie es die Italiener 1945 mit Mussolini taten«, heißt es weiter. Christoulas gehörte zu den linken Aktivisten der »griechischen Empörten« vom Sommer vergangenen Jahres und war bis zu seinem Freitod in den daraus entstandenen Stadtteilversammlungen aktiv.
Ihr Vater sei »sein ganzes Leben ein linker Aktivist, ein selbstloser Utopist« gewesen, erklärte die Tochter des Verstorbenen auch angesichts des von den Medien zur Verzweiflungstat verdrehten Freitods. »Seine konkrete Art aus dem Leben zu scheiden ist eine bewußte politische Aktion, vollständig im Einklang mit allem, was er geglaubt und getan hat, solange er lebte.«
Hunderte von Kerzen, Blumen und Botschaften wurden unterdessen bereits in den letzten Tagen am Syntagmaplatz niedergelegt. »Der Name des Toten ist Demokratie, wir Überlebenden sind elf Millionen, und unser Name ist Widerstand«, heißt es auf einer von ihnen.
Quelle: "Junge Welt"