5.21.2008

Das Dalai Lama

Es muss 2000 gewesen sein oder um 2000 herum, da bekam unser Heimattierpark ein Lama von irgendwoher. Zwar konnte niemand so recht sagen, wozu wir im Heimattierpark ein Lama brauchten, aber es war nun mal da. Und darum sollte die Suche nach einem passenden Namen gestartet werden, einigte man sich im für den Tierpark verantwortlichen städtischen Gremium. Da meldete sich unser etwas ketzerischer Tierparkdirektor zu Wort und schlug vor: "Nennen wir es doch einfach Dalai Lama!". Seit dem Tag hatte der Herr Direktor zwei neue Gegner im Gremium, einen Allgemein-Esoteriker und einen speziellen, dem Vajrayana-Buddhismus anhängenden und den Dalai Lama verehrenden Kleinbürger. Warum ich das erzähle?
"Zwischen drei- und fünfhunderttausend Anhänger soll der Buddhismus seit Anfang der 1990er Jahre allein im deutschsprachigen Raum gefunden haben. Vor allem in ihrer tibetischen Variante scheint die »Lehre des Buddha« dem aktuellen Zeitgeist sehr zu entsprechen: Die Zahl der Sympathisanten für den sogenannten Vajrayana-Buddhismus, als dessen Oberhaupt der Dalai Lama firmiert, geht in die Millionen. Wesentlicher Grund hierfür ist die Dauerpräsenz »Seiner Heiligkeit« in den Boulevard- und Yellow-Press-Medien, über die das Interesse an »östlicher Spiritualität« bedient und ständig erweitert wird. Vor allem innerhalb der Esoterik- und Psychoszene gilt tibetischer Buddhismus bzw. das, was man davon weiß oder dafür hält, als übergeordnete »spirituelle Leitlinie«. Ernsthafte Auseinandersetzung gibt es in dieser Szene freilich nicht, die oberflächliche Kenntnis von ein paar Begriffen und ein »Gefühl« für die Sache reichen völlig aus, sich »zugehörig« vorzukommen. Vielfach versteht man sich dann schon als »engagierter Buddhist«, wenn man einen »Free-Tibet«-Aufkleber auf dem Kofferraumdeckel spazierenfährt", schreibt Colin Goldner (Autor des Standardwerkes »Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs«, das Ende April in aktualisierter und erweiterter Neuauflage im Alibri-Verlag Aschaffenburg erschien) in der "Junge Welt". Ein historisch-politischer Blick auf Tibet ist unter diesen Voraussetzungen sowohl unserem Kleinbürger als auch den Esoterik-Schwärmern und - wie sie mein Kollege Burkhard "Burks" Schröder nennen würde - Verehrer höherer Wesen sozusagen a priori verstellt. Dann gibt es noch eine weitere recht einflussreiche Gruppe der "Freunde Tibets". Jedenfalls geben sie ich regelmäßig dafür aus, wenn es gegen China geht. Denn China war schon immer etwas grausiges, die "Gelbe Gefahr" früher, dann die "Rote Gefahr" über ein halbes Jahrhundert hinweg und jetzt vermutlich die "Gelb-Rote Gefahr" oder die "Orangene" möglicherweise. Beide Gruppen sind nicht willens, "die Welt so zu sehen, wie sie ist - ohne vorgefasste Schrullen" (Friedrich Engels).
Der Kampf der Hobby-Tibetologen
"Ach, wären wir doch bereit, zu allen uns angedienten „Informationen" die Gegenpositionen zu suchen, nachzufragen statt mit dem Kopf zu nicken! Wären wir doch bereit, Quellen zu prüfen, bevor wir uns ihrer bedienen, zu zweifeln und Zweifel zu wecken! Wären wir doch nur bereit, keinesfalls den eigenen Irrtum auszuschließen!"Volker Bräutigam

Doch zurück zu Colin Goldner: "Die moderne Geschichtsschreibung weiß indes längst, daß Tibet bis zur Invasion der Chinesen keineswegs die paradiesische Gesellschaft war, die der Dalai Lama ständig beschwört. Für die große Masse der Bevölkerung war das »alte Tibet« tatsächlich eben jene »Hölle auf Erden«, von der in der chinesischen Propaganda immer die Rede ist; das tibetische Volk aus diesem Elend zu befreien, wurde beim Einmarsch von 1950 als Legitimation und revolutionäre Verpflichtung angesehen. Die herrschende Mönchselite beutete Land und Menschen mit Hilfe eines weitverzweigten Netzes von Klostereinrichtungen und monastischen Zwingburgen gnadenlos aus. Der relativ kleinen Ausbeuterschicht – ein bis eineinhalb Prozent – stand die Mehrheit der Bevölkerung als »Leibeigene« beziehungsweise »unfreie Bauern« gegenüber. Die Steuer- und Abgabenlasten, die diesen Menschen aufgebürdet wurden, drückten sie unter die Möglichkeit menschenwürdiger Existenz. Bitterste Armut und Hunger durchherrschten den Alltag in Tibet. Es gab außerhalb der Klöster keinerlei Bildungs-, Gesundheits- oder Hygieneeinrichtungen. Privilegierte beziehungsweise benachteiligte Lebensumstände wurden erklärt und gerechtfertigt durch die buddhistische Karmalehre, derzufolge das gegenwärtige Leben sich allemal als Ergebnis angesammelten Verdienstes respektive aufgehäufter Schuld früherer Leben darstelle. Das tibetische Strafrecht zeichnete sich durch extreme Grausamkeit aus. Zu den bis weit in das 20. Jahrhundert hinein üblichen Strafmaßnahmen zählten öffentliche Auspeitschung, das Abschneiden von Gliedmaßen, Herausreißen der Zungen, das Abziehen der Haut bei lebendigem Leibe und dergleichen."
Wer interessiert ist, die Wirklichkeit zu erkennen jenseits der Verklärung, dem ist ein Beitrag des ARD-Magazins "Panorama" zu empfehlen. Er stammt aus dem Jahre 1997 und ist im Sendungsarchiv von Panorama zu finden.
Und was ist mit dem Dalai Lama? Ist der schon wieder weg oder immer noch in Hessen?.