12.24.2006

Auf einem Berg leben als Nachbarn und Freunde


An der nordböhmischen Grenze unweit vom Dreiländereck Polen/Tschechien/Deutschland liegt auf tschechischer Seite die Gemeinde Krompach, auf deutscher Seite der Kurort Oybin und oberhalb beider Gemeinden erhebt sich der Johannisstein/Janske kameny (608 Meter). Der Berg war über 100 Jahre lang im Sommer wie im Winter ein beliebtes Ausflugsziel für viele Tschechen und Deutsche und damit immer auch eine Stätte der Begegnung. Oben gab es seit 1880 eine Bergbaude, 1922 kam auf deutscher Seite eine kleinere dazu. Krieg und Nachkrieg liessen es still werden auf dem Berg und in den Bauden. Zwar wurde zu sozialistischen Zeiten beide Bauden sporadisch als Ferienheime genutzt, nach der Wende aber, kam das Leben gänzlich zum Erliegen. Jetzt aber beginnt das Leben wieder zu pulsieren auf dem Johannisstein. Denn seit ein paar Jahren wohnen dort oben eine deutsche und eine tschechische Familie Haus an Haus oder auch Baude an Baude. Und die Staatsgrenze verläuft zwischen den Häusern diagonal über die gemeinsame Terrasse:

Der nächste Winter kommt bestimmt. Da sind sich Jirka Kudrna, Hausherr der tschechischen Johannisstein-Baude und sein deutscher Nachbar (deutsche Johannisstein-Baude) einig aus Erfahrung. Letzten Winter waren beide Häuser auf dem Johannisstein/Janske kameny oberhalb der tschechischen Gemeinde Krompach rund drei Wochen nur zu Fuß oder auf Skiern erreichbar. Die auf beiden Seiten vorhandenen Schneefräsen hatten die Schneemassen einfach nicht mehr weit und hoch genug werfen können. Diesen Winter soll das nicht wieder passieren. So ist der Tscheche nicht nur dabei, seine Winterdiensttechnik weiter aufzurüsten, sondern hat auch mit zwei Dutzend Helfern und schwerer Technik einen alten Weg zur tschechischen Johannisstein-Baude wieder freigelegt. Dieser Weg liegt parallel zu den Hauptwindrichtungen und war darum in keinem der vergangenen Winter so verweht wie der jüngere westliche, zur Gaststätte „Vyklidce“ führende Fahrweg.
Manches mochten sich die beiden Familien leichter vorgestellt haben, als sie 1998 bzw. 2001 ihre Grundstücke auf dem seit Jahren verwaisten Johannisstein erwarben und danach mit der Sanierung der Häuser begannen. Während der Deutsche sein Haus (es ist allerdings nur etwa ein Drittel so groß wie die tschechische Baude und war nur halb so runtergewirtschaftet) binnen zweier Jahre sanierte, Ferienwohnungen darin einrichtete und mit der Vermietung begann, kämpft Kudrna mit unvergleichlich größeren Problemen. Aber er muss es wohl schon geahnt haben, bevor er anfing. Denn als er sich 2001 – gerade eben hatte er die Baude gekauft – seinem Nachbarn vorstellte, da hatte er in recht flüssigen Deutsch gesagt: „Ich will dieses Haus wieder aufbauen, den Johannisstein wieder zu einem touristischen Ziel machen und mich samt meiner Familie hier oben ansiedeln“. Und ein paar Sätze weiter meinte er: "Das Haus wieder bewohnbar zu machen, ist nicht nur mein Lebenswunsch, sondern - wie es aussieht - auch eine Lebensaufgabe".

Dach vom Winde verweht

Kaum war der Dachstuhl saniert und das Dach eingedeckt, riss ein heftiger Frühjahrssturm ihm ein Drittel des neuen Daches wieder weg. Das warf die weitere Sanierung der Baude um mehrere Wochen zurück. Oder: fast hätte ihm einer früher Wintereinbruch erneut zurückgeworfen. Er ließ nach Trinkwasser bohren und dann drohte urplötztlich ein schneller Wintereinbruch. Aber das Unternehmen, das in seinem Auftrag nach Wasser bohrte, fand das Wasser, noch bevor der Frost alle Arbeiten lahm legen konnte. Danach gab es ein Jahr drauf eine neue Hiobsbotschaft. Der älteste Gebäudeteil aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, in dem Kudrna eigentlich eine kleine Gaststätte einbauen wollte, ist statisch nicht mehr so sicher. Das heisst, der Bauden-Besitzer müsste den ältesten Gebäudeteil abreissen und dann neu aufbauen, um eine Gaststätte einrichten zu können. Das Vorhaben Gaststätte hat Jirka Kudrna erst mal verschoben.
Trotz all dieser technischen „Querschüsse“ schaffte es Kudrna irgendwie, den Südflügel des Gebäudekomplexes fertig zu sanieren. Der leuchtet seitdem gelb durch das Grün der Bäume im Sommer und entlockt den Johannistein-Besuchern und Touristen anerkennende Urteile wie „Schmuckstück“ oder „Perle“. Und schließlich schaffte er es auch noch, mit Lebensgefährtin Marketa und den Töchtern Anna und Maja endlich umzuziehen auf den Johannisstein. Auch 2006 verlief für die Kudrnas ziemlich erfreulich. Nicht nur weil im Sommer Jirka Kudrna seine Lebensgefährtin Marketa heiratete, sondern auch weil das, was er 2001 unbestimmt mit „den Johannisstein wieder zu einem touristischen Ziel machen“ nannte, nun endlich voran geht.

Am Schlaf der Krompacher rühren

An einem Freitagabend vor ein paar Wochen im Krompacher Gasthaus „U zamku“: Im Billardzimmer ist eine Leinewand aufgehängt, ein Projektor eingeschaltet. Jirka Kudrna stellt den rund 40 Gästen sein Projekt „Naturlehrpfad am Johannissstein“ vor.
Der Pfad ist ein Ringweg südwestlich der tschechischen „Johannisstein-Baude“ und hat vier Stationen zu den Themen Geschichte, Geologie, Fauna und Flora des Johannissteins bzw. der näheren Umgebung und seit November eröffnet.
Und er stellt seine Anschlussprojekte vor. Beispielsweise das Vorhaben, Krompach selbst und den Johannisstein auf tschechischer Seite verkehrstechnisch wieder besser „anzubinden“. Er wirbt bei den Besuchern der Projekt-Vorstellungen um ihre Unterstützung. Die findet er bei den Anwesenden auch, aber: Die meisten der Gäste sind Neu-Krompacher, also zumeist Eigentümer von Sommerhäusern und Wochenendgrundstücken in der Gemeinde. Die kommen regelmässig an den Wochenenden aus größeren Städten nach Krompach und kennen die Beschaffenheit der meisten Straßen und Wege in der Gemeinde und wünschen sich bessere. Über die Alteingesessenen ärgert sich Kudrna. „Die schlafen noch und wollen offensichtlich gar keine Verbesserung ihrer Lebensumstände“, glaubt er. Mit der Projektvorstellung wollte er auch am Schlaf der Alt-Krompacher rühren und erscheint bei denen fast nichts erreicht zu haben. Und Kudrna wünscht sich, dass möglichst viele der Gäste dieses Abends ihm dabei helfen, die alte Zufahrt zum Johannisstein wieder herzurichten. Knapp ein Dutzend Leute erklären sich zur Hilfe bereit. Am Morgen des Arbeitseinsatzes erlebt Kudrna eine Überraschung. Statt des knappen Dutzend sind fast 25 Helfer gekommen und über ein Drittel davon sind Alt-Krompacher, junge vor allem!

Und was war sonst noch? Die Töchter sind gewachsen, Anna geht längst in die Schule, Maja in die Vorschule. Noch nicht nach Zittau, wie Jirka 2002 noch glaubte. „So schnell ist Tschechien nun wohl doch nicht mit dem Beitritt zum Schengen-Abkommen“, meint er und hat kein Verständnis für diese Politik des Zauderns. „Wir sind zwar in Europa angekommen, aber auch wieder nicht“, schmunzelt er. „Wenn ich meinen Nachbarn Jürgen besuchen will, dann muss ich nach geltenden Recht dafür vom Johannisstein bis hinunter zur „Kammbaude“ gehen, also rund 400 Meter, dann über den Wander-Grenzübergang auf die deutsche Seite wechseln , um dann die 400 zurück zu laufen auf die deutsche Seite des Johannisstein. Gehe ich einfach meine Treppe am Haus hoch und dann über die Terrasse zum Nachbarn, dann begehe ich genau genommen eine Ordnungswidrigkeit“.
Über diese hochoffizielle Kuriosität lacht er herzlichst mit Axel Kaspar, einem Reporter des deutschen Fernsehsenders „mdr“ (Mitteldeutscher Rundfunk). Dem hat er an einem schönen Spätsommerwochenende diese Geschichte ín Mikrofon und Kamera erzählt. Kaspar ist gekommen, um einen Film über den Johannisstein und seine Bewohner zu drehen. Die wichtigste Szene für den Fernsehmann: Die beiden Familien sitzen am Tisch auf der Terrasse zwischen beiden Häusern, das Grillfeuer brennt, es wird gegessen, getrunken und geredet. Und während dessen hält die Kamera fest, dass die Landesgrenze genau diagonal durch den Tisch verläuft, um den alle sitzen.
(Der Film soll Ostern 2007 im deutschen „mdr“ ausgestrahlt werden.)

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