4.07.2008

Leihbeamte im Parlament und in Libyen

Im Vorwort zu seinem Buch "Media Control" schreibt Noam Chomsky über die westlichen Industriegesellschaften: "In kapitalistischen Demokratien ist die Macht in einem Spannungsfeld angesiedelt. Demokratie heißt im Prinzip Herrschaft des Volkes. Aber die Entscheidungsbefugnis über zentrale Bereiche des Lebens liegt in privaten Händen, was weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaftsordnung hat". Um die Spannung zu vermindern, meint Chomsky, sei die Ausweitung der Demokratie auf Bereiche der wirtschaftlichen Investitionen und/oder der Organisation der Arbeit unabdingbar. Das Gegenteil sei seit längerem der Fall, weil man die Spannungen verringert, indem man den "Einfluß der Öffentlichkeit auf die staatliche und privatwirtschaftliche Macht beseitigt". Und weiter: "In den fortgeschrittenen Industriegesellschaften bedient man sich im Allgemeinen einer Vielzahl von Maßnahmen, um die demokratisch verfassten Strukturen ihres wesentlichen Gehalts zu berauben, ohne ihre formale Funktionsweise zu anzutasten". Dass die vom Autor beschriebenen Zustände nicht nur Zustände in den USA beschreiben, sondern eben doch Zustände in allen westlichem Demokratien, dafür gab es in der vergangenen Woche mit dem Bericht des Bundesrechnungshofes über "Leihbeamte" der deutschen Wirtschaft im Deutschen Bundestag und in dessen Verwaltung überdeutliche Hinweise. Der BRH bestätigt damit nicht nur die Richtigkeit der Langzeitbeobachtungn des ARD-Magazins "Monitor", sondern auch die Untersuchungen der beiden Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto, die ebenfalls in der Vorwoche ihr Buch "Der gekaufte Staat" ui eben diesem Tema in Berlin vorgestellt haben. Die Tageszeitung "Junge Welt" referierte aus dem Buch: "In Bundesministerien beschäftigt wurden unter anderem Mitarbeiter von Bayer, DaimlerChrysler, der Deutschen Bank, E.on, dem Flughafenbetreiber Fraport, Siemens und SAP. Auch Verbandsfunktionäre der Gas-, Pharma- und Bauindustrie wurden eingesetzt. Die Erfolgsbilanz dieser Lobbyisten kann sich sehen lassen. Wichtige Gesetzesvorhaben, beispielsweise zum Fluglärmschutz oder zur Energiepreisregulierung, wurden so stark verwässert, daß den Konzernen hohe Aufwendungen erspart blieben. Mit anderen, beispielsweise zu Hedge-Fonds und Private-Public-Partnerships, wurden völlig neue Geschäftsfelder zum Schaden der Verbraucher und der öffentlichen Haushalte eröffnet. Die beiden Buchautoren erheben keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit ihrer Nachforschungen. Auch seien die vielen Fälle von direkter Konzerneinflußnahme auf Gesetze in den Bundesländern von ihnen nicht untersucht worden".
Muss es uns also wundern, wenn beispielsweise die geplante Biospritverordnung (ebenfalls in der vergangenen Woche) urplötzlich wieder gekippt werden muss, weil, wie Sigmar Gabriel sagt, man im Ministerium den zur Verfügung gestellten Zahlen über die Menge der Fahrzeuge, die für den Betrieb mit E10 überhaupt nicht tauglich sind, geglaubt habe. Wer hat die Zahlen geliefert? Der von DaimlerChrysler (siehe oben) bezahlte und (vermutlich) in das Fachministerium abgeordnete Leihbeamte vielleicht?
Ich denke, soviel werden wir wohl zu dem Thema nicht mehr erwarten dürfen, weil A) der Einsatz von "Leihbeamten" immerhin auf einem sogenannten "Austauschprogramm" der Bundesregierung mit der Wirtschaft beruht, also alles so gewollt war. B) weil die Medien - jedenfalls die Mainstraem-Medien - bereits eine andere Sau durch das bundesdeutsche Dorf treiben. Sie wissen schon, die Geschichte der raffgierigen deutschen Ausbilder libyscher Sicherheitsbeamter. Ja so ein Haufen von Unmoral aber auch! Ach ja, wie ein solches Thema Karriere macht, darüber gab eine Linkliste des eigentlich gewissenhaften WDR am 05.04. Auskunft. Das heißt es zunächst: "NRW: Urlaub für Polizeitraining in Libyen, eine Link weiter: "Deutsche Polizeibeamte sollen Sicherheitskräfte in Libyen geschult haben" und nochmals am gleichen Tag: "SEK-Beamte sollen libysche Revolutionsführer ausgebildet haben".

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