6.15.2015

Die Welt in der wir leben - und was uns die Medien darüber erzählen (2)

Ein Ehepaar aus Radeberg hat vor Jahren der Immobilienfirma eines Kurzzeit-Dynamo-Präsidenten vertraut. Jetzt kämpfen sie vor Gericht und ringen um ihre Existenz.

Da reißt sich sogar Rottweiler Carlo zusammen. Aufgeregt bellend hat er noch vor wenigen Minuten die Ankömmlinge begrüßt. Nun sieht von seinem Zwinger aus ganz entspannt zu, wie Frauchen und Herrchen sich zum Foto aufstellen: vor einer grauen rissigen Wand, neben sich eine verstaubte Plastikpalme. Die hatten Anett und ]ens Zelewski vor geraumer Zeit aus dem
Hausrat aussortiert. ,,Vom Urlaub unter Palmen können wir sowieso nur noch träumen“, sagt Jens Zelewski. Der gelernte Lüftungsbauer ist erst 49, aber wegen einer Nervenkrankheit schon erwerbsunfähig, EU-Rentner also. Er trägt das mit Fassung, dass er wenig zum Lebensunterhalt beitragen kann, das nervt ihn schon mehr. Seine Frau Anett ist Sekretärin in einem .Autohaus. Das rund 100 Jahre alte Haus im Radeberger Ortsteil Großerkmannsdorf hat das Ehepaar von der Tante geerbt, vor 15 Jahren. Es müsste an der einen oder anderen
Stelle saniert werden, doch es fehlt das Geld. „Wir sind froh, wenn wir Monat für Monat über die Runden kommen“, sagt Anett Zelewski. Dann lädt sie zum Kaffee in die gute Stube.
Auf der Ablage des plüschigen Ecksofas im Wohnzimmer stapeln sich Kuscheltiere. Gegenüber steht ein Terrarium mit zwei Zwergbartagamen, australische Echsen, die mit Vorliebe Heuschrecken verspeisen. "Dieses Hobby leiste ich mir einfach noch“, sagt Jens Zelewski.
Nach mehrfachen lmmobilieneigentümern sieht all das nicht aus. Dabei sind das die Zelewskis. Außer dem Erbstück von der Tante gehört ihnen noch eine 53 Quadratmeter große Eigentumswohnung in einem Wohnblock in Leipzig-Schönefeld. Seit sieben Jahren. „Wir haben wirklich gedacht, das ist eine gute Altersvorsorge für uns. Doch inzwischen kriegen wir deshalb kaum noch Luft“, sagt Anett Zelewski, als sie mit frisch gekochtem Kaffee aus der
Küche kommt.



Damals, im Mai 2008, als noch zwei Gehälter da waren, klingelte bei den Zelewskis das Telefon. „Da stellte sich jemand von der Firma Ortus aus Coswig vor, von der wir noch nie was gehört hatten. Der Mann erzählte uns was von Vorsorge und Steuersparen, und da haben wir uns verabredet“, berichten sie. Es kam auch jemand, analysierte den Finanzstatus des Paares, übergab ein Firmenexposé der Ortus, machte Vorschläge, wie man mit einer Immobilienanlage Steuern sparen könne, sogar ohne eigenen Kapitaleinsatz. Der Mann war sehr sympathisch, konnte gut reden, der war sehr überzeugend“, schildert Jens Ze-
lewski. Man traf sich ein zweites, schließlich ein drittes Mal.
Am 12. juni 2008, abends um sechs, in einem großen Bürobau in Coswig, dem Sitz der Firma Ortus. „Dort war es sehr schick, im Foyer stand ein Oldtimer.“ Zelewskis bekamen einen anderen Gesprächspartner als bislang vorgesetzt. „Der drängte uns zum Abschluss, dies Entseheidung müsse heute noch fallen, hat der gesagL“ Kaufvertrag, Kreditvertrag, alles sei vorbereitet gewesen. „Wir haben dann zugestimmt.“
Noch am selben Abend sei es im Mercedes des Verkäufers zu einer Notarin nach Riesa gegangen. Kurz nach Mitternacht war das Radeberger Paar Eigentümer einer Wohnung in Leipzig, die sie gar nicht kannten. Der Kaufpreis betrug 87.000 Euro, komplett finanziert von der Deutschen Kreditbank in Berlin. Der Zinssatz betrug 6,2 Prozent, festgeschrieben bis 2018, null Tilgung. Zelewskis zahlen also zehn Jahre lang nur Zinsen - Monat für Monat rund 450 Euro - ohne dass ihr Kredit geringer wird. Als „Sicherheit“ hat sich die Bank nicht nur eine Grundschuld auf die Leipziger Wohnung eintragen lassen, sie hat auch
Zugriff auf eine fondsgebundene Rentenversicherung über 90.000 Euro, die die Zelewskis eigens für den Immobilienkauf ebenfalls über die Ortus abgeschlossen hatten. Das sind Weitere 145 Euro monatlich. Die Police lauft bis zum Sommer 2036, Jens Zelewski wäre dann
70 Jahre alt. Erst dann soll der Kredit mit dem Geld aus der Versicherung getilgt werden. „Wir waren uns der Tragweite nicht bewusst“, gibt Jens Zelewski zu. „Und wir waren naiv.“ Alles in allem wird das Paar - wenn es so lange durchhält - fast 300.000 Euro aufbringen
müssen, um ihre Schulden für die kleine Leipziger Eigentumswohnung loszuwerden. Finanziert werden sollte all das aus Mieteinnahmen und Steuerersparnissen.
Zehntausende sind in Deutschland solchen angeblichen Steuerspar -und Altersvorsorge-Modellen aufgesessen. In der Branche ist pauschal von Schrottimmobilien die Rede. Von Wohnungen, die überteuert verkauft wurden, aus denen Mieterträge aber oft nicht fließen, weil sie immer wieder leer stehen. Anlegeranwälte betreuen im Fall Ortus/Deutsche Kreditbank allein in Ostsachsen rund 40 Mandanten. Zwei Jahre nach dem Kauf haben die Ze-
lewskis versucht ihre Leipziger Immobilie wieder loszuwerden; monatelang war keine Miete geflossen. Doch nach einem Gespräch bei Ortus löste sich ihr Vorhaben wieder in Luft auf. Einen Anwalt nehmen sie sich erst im Sommer 2012, nachdem sie im MDR einen kritischen Fernsehbericht über die Firma gesehen hatten. Die Geschichte der Ortus ist die von Sven Thieme. Ein Mann, der sich nach der Wende zunächst mit einer Heizungsfirma in Coswig selbstständig machte und dann ins Bauträgergeschäft einstieg. Die Ortus gründete er 1997.
In Dresden erregte Thieme Aufsehen, als er mit dieser Firma Millionen in das ehemalige Künstlerhaus und Hotel „Fe1senburg“ im Villen-Stadtviertel Weißer Hirsch steckte. Ende 1999 kommt Thieme erneut in die Schlagzeilen: Auf einigen seiner Baustellen in Dresden und Erfurt demonstrieren Handwerker, weil ihre Rechnungen nicht beglichen werden. Thieme
weist alle Vorwürfe zurück, Strafverfahren gegen ihn verlaufen im Sande. Im November 2001 schafft es der Coswiger sogar auf den Präsidentenstuhl des Fußballklubs Dynamo Dresden - allerdings nur für zwölf Tage. Dann wird er wieder abgesetzt. Die Publizität, die ihm das Dynamo-Amt vorübergehend verschafft, verursacht unangenehme Fragen zur Ortus. Ein Verwirrspiel beginnt. Mal verschwindet der Firmenname, mal taucht er wieder auf, Un-
ternehmenssitze sind mal in Königsbrück, mal in Dresden, mal in Coswig. Gesellschafter und Geschäftsführer wechseln. Gleichzeitig entstehen immer neue Firmen, in offiziellen Dokumenten taucht Thieme allerdings kaum mehr auf. Stattdessen findet sich dort nun der Name seiner damaligen Lebensgefährtin oder der eines Wirtschaftswissenschaftlers aus
dem Kreis Meißen oder der eines Mannes aus dem spanischen Malaga. Erst im Sommer 2005 fungiert Thieme wieder in offizieller Funktion: als Vorstand der Ortus AG. Weitere fünf Jahre später ist das Unternehmen sogar in eine europäische Aktiengesellschaft umgewandelt worden, der wohl einzigen, die je in Coswig beheimatet war. Zu dieser Zeit, im Herbst 2012, streitet der Anwalt der Zelewskis bereits heftig mit der Ortus. Die Firma weist alle Vorwürfe zurück: Man habe das Ehepaar nicht getäuscht. Die Ortus habe gar keine Verkaufs-
gespräche geführt, sie habe weder die Finanzierung vermittelt, noch die Wohnung überteuert verkauft.
Die von den Zelewskis benannten Berater seien nicht einmal Mitarbeiter der Ortus gewesen.
Tatsächlich nicht? In einer verrauchten Eckkneipe voller Dynamo-Wimpel und Modelleisenbahnen im Dresdner Arbeiterviertel Löbtau findet sich der Mann, der mit
den Zelewskis die ersten beiden Gespräche führte. „Natürlich haben wir gesagt, dass wir von der Ortus sind“, sagt er. „Nur: angestellt waren wir tatsächlich nicht. Wir
haben auf Provisionsbasis gearbeitet, als Selbstständige. Aber dass konnten Kunden nicht erkennen“.  Die Ortus habe ihm sogar einen Mercedes zur Verfügung gestellt, „finanz1eren aber mussten wir den dann selbst“. Er sei damals vor dem Arbeitsamt angesprochen worden, ob er nicht bei Ortus Geld verdienen wolle. „Das klang gut, das habe ich dann gemacht. Ich war von dem, was ich da tat, auch überzeugt. Im Rückblick aber schäme ich mich dafür.“
Zu Sven Thieme will sich der Mann nicht weiter äußern, denn: „Der war der König, flog öfter mit immer derselben Clique nach Malaga und war für uns niedrige Chargen so gut wie unnahbar.“
Als immer mehr Immobilienkunden der Ortus gegen die Firma gerichtlich vorgehen, verlegt die 2013 ihren Sitz nach Spanien, um dort liquidiert zu werden. Als Adresse fungiert seitdem ein Zimmer in der siebten Etage eines neunstöckigen Bürobaus im Zentrum von Malaga. Alsbald ermittelt die Staatsanwaltschaft. Es geht um hinterzogene Sozialversicherungsleistungen in Hohe von rund 500000 Euro. Der Zoll durchsucht Büros in Coswig und Radebeul, zudem ein Callcenter in Dresden. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Doch auch Zelewskis Anwalt Rainer Horbas aus Oschatz kommt nicht so wirklich weiter. Drei Jahre prozessiert er nun schon. Die Betrugsanzeige seiner Mandanten gegen Thieme wird wegen Verjährimg eingestellt. Im Schadenersatzverfahren gibt es einen Rückschlag, weil der gerichtlich bestellte Gutachter für die Eigentumswohnung in Leipzig einen Wert von knapp 57000 Euro ermittelte. „Sittenwidrig wäre der Immobilienkauf der Zelewskis nur gewesen, wenn der Kaufpreis doppelt so hoch gewesen wäre, wie der vom Gutachter ermittelte Wert“, sagt Horbas. ,,Das ist nicht der Fall, also können wir den Kaufvertrag auch nicht wegen Sittenwidrigkeit rückabwickeln“. Und die Verlegung der Oitus
nach Spanien macht die Sache auch nicht einfacher. Ende November vorigen Jahres fordert
das Landgericht Dresden den Anwalt Horbas auf, sich zu den Aussichten für seine Mandanten zu äußern, sollten deren Ansprüche „nach spanischem Konkursrecht“ verhandelt werden. Horbas hält es gar für moglich, dass das Gericht sämtliche seiner dort anliegenden acht Ortus-Filialen “wegen der internationalen Rechtsproblematik“ zum Europäischen Gerichtshof weitergibt.
Und Thieme? Schriftliche Fragen der „Sächsischen Zeitung“ beantwortete er nicht, telefonisch war er nicht erreichbar, an seiner Privatadresse nicht anzutreffen. Er hat allerdings erst in diesem Jahr wieder eine neue Firma gegründet, in Radebeul. Sie heißt: Competent Investment-Management Gmb.

Textquelle: "Sächsische Zeitung" Dresden

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