Bild aus dem Gazastreifen. Yitzchak Ben Mocha will
nicht teilnehmen am Gemetzel an den Palästinensern. Foto: www.thewe.cc
Yitzchak Ben Mocha. Samstags abends um viertel nach Elf kam der Anruf. Meine Freundin Nora und ich waren bei Freunden und verfolgten den Beginn der Bodenoffensive der IDF (Israelische Verteidigungskräfte – Selbstbezeichnung der israelischen Armee, Red.) in den Nachrichten. Die Bilder beschworen sofort Zorn und Trauer, vor allem jedoch Frustration und Angst in mir herauf. Frustration, weil Hunderte und Tausende Menschen – Palästinenser und Israelis – während der vergangenen acht Kampftage sinnlos getötet und verletzt worden waren. Angst wegen des vielen Bluts, das in den nächsten Tagen noch genauso sinnlos vergossen werden würde. Doch dann klingelte mein Telefon und versetzte mich im Bruchteil einer Sekunde aus der Position des externen Beobachters wieder einmal in die des Beteiligten. Obwohl das Display »Nummer unbekannt« anzeigte, wußte ich genau, wer zu dieser späten Stunde anrief. Nur wenige Minuten zuvor hatte einer unserer Freunde denselben Anruf bekommen. Eine automatische Ansage informierte mich über meine Noteinberufung und die Pflicht, mich am folgenden Morgen um acht Uhr am angegebenen Ort einzufinden. Wieder einmal mußte ich meinen großen Rucksack packen. Währenddessen versuchte ich zu erraten, was der nächste Tag bringen würde. Warum wurde ich auch diesmal einberufen? Hatte ich nicht bereits klar und eindeutig erklärt, daß ich mich weigere, mich in irgendeiner Weise an der Besatzung und dem Kampf gegen das palästinensische Volk zu beteiligen? Würde meine Weigerung dieses Mal mit mindestens 28 Tagen Haft enden? Oder würde ich ein weiteres Mal »wie durch ein Wunder« nach Hause entlassen werden? Am nächsten Morgen erschien ich pünktlich um acht Uhr vor dem Offizier meiner Einheit und meldete mich zum Dienst. Als ich meine Ausrüstung abholen wollte, stellte sich heraus, daß mein Name auf keiner Liste stand und ich keiner Aufgabe zugeteilt worden war. Also wurde mir befohlen, mich an die Seite zu setzen und auf weitere Befehle zu warten. Ich wartete und wartete ... und wartete. Alles in allem wartete ich zwei Tage lang, bis ich am Abend des zweiten Tags meinen ersten Auftrag erhielt: Ich sollte am nächsten Morgen Zelte für die Soldaten im Kampfeinsatz aufschlagen. Ich antwortete meinem Offizier: »Das werde ich nicht tun.« Am folgenden Morgen wurde ich nach Hause geschickt. Man sagte mir, man werde mich wieder anrufen, wenn die Lage es erfordere. Bist jetzt haben sie sich nicht gemeldet ... In den Medien verkündet die IDF, daß sich mehr Soldaten zum Dienst melden, als einberufen werden und daß sich selbst ehemalige Deserteure zum Dienst melden, die jetzt in die Armee zurückkehren und kämpfen wollen. Keiner dieser Berichte stimmt so ganz; doch sie schaffen den Eindruck, unter den Soldaten bestehe über die Rechtmäßigkeit des derzeitigen Kampfes gegen die Hamas in Gaza breiter Konsens und Zusammenhalt. Gleichzeitig sollen sie die Tatsache verschleiern, daß sich im Laufe der Jahre viele Soldaten geweigert haben und noch weigern, an den Kämpfen und der Fortführung der Besatzung teilzunehmen, deren Opfer in erster Linie die palästinensische Bevölkerung ist. In der Vergangenheit hat die IDF gegen Personen, die den Dienst in der Armee aus Gewissensgründen verweigert haben, einen erbitterten Kampf geführt. Sie hat gegen sie Disziplinarverfahren geführt und sie, in der Hoffnung, ihren Willen zu brechen, oft viele Wochen lang eingesperrt. Die IDF mußte jedoch feststellen, daß die Haft den Geist dieser Menschen nicht nur nicht brechen konnte, sondern sie im Gegenteil in ihrer Haltung gestärkt hat. Zudem hat das breite Echo, das ihre Geschichte in den Medien ausgelöst hat, ihre Botschaft verstärkt. Anscheinend hat die Armee aus diesem Grund im Umgang mit Verweigerern eine neue Strategie eingeschlagen: sie ignoriert, leugnet und verschleiert das Phänomen, um statt dessen ein Trugbild zu präsentieren, eine Realität, in der Ziel und Zweck des Armeediensts wie auch der Armeedienst als solcher volle Unterstützung erfahren.
Die interessantere und entscheidende Frage ist und bleibt jedoch: Wie kommt ein Reservist einer Fallschirmspringer-Eliteeinheit, der drei Jahre regulären Armeedienst absolviert hat, zu der glasklaren Schlußfolgerung, daß es seine Pflicht ist zu sagen: »Schluß jetzt!«, daß es seine Pflicht ist, den Armeedienst zu verweigern? Ich bin in die IDF eingetreten, weil ich Teil einer Armee sein wollte, die Israel verteidigt. Eine Armee, deren Aufgabe es ist, den Staat und seine Bürger gegen Terroristen und Terrororganisationen zu schützen. Nicht gegen das palästinensische Volk und seine Freiheitskämpfer, sondern gegen fundamentalistische Extremisten, denen es nicht um Frieden oder Freiheit geht, sondern um Blutvergießen und Krieg. Nicht gegen palästinensische Bauern, die gegen den unverhohlenen Raub ihrer Ländereien protestieren, sondern gegen jene, die wahllos Busse voller Männer, Frauen und Kinder in die Luft sprengen. Ich war immer für Frieden und für ein Ende der Besatzung – auch als ich in die Armee eintrat. Doch damals, mit 18 Jahren, war ich noch naiv genug zu glauben, bis unsere politische Führung diplomatische Lösungen für den Frieden fände, sei es unsere Pflicht, in die Armee einzutreten und unsere Heimat zu verteidigen und zu beschützen. Doch im Laufe meines Armeediensts setzte sich in meinem Bewußtsein nach und nach die Erkenntnis durch, daß der Staat Israel weder dem Ende der Besatzung, noch dem Leiden eines ganzen Volkes noch dem Leben der eingesetzten Soldaten auf politischer oder sozialer Ebene Priorität einräumt. Wie viele andere, die aus Gewissensgründen verweigern, bin ich kein Pazifist. Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß es in unserer Welt nicht immer friedlich zugeht; deshalb ist es manchmal unvermeidlich, zum Zwecke der Selbstverteidigung auf gewaltsame Mittel zurückzugreifen. Mir ist auch bewußt, wie notwendig die Existenz einer Verteidigungsarmee für den Staat Israel ist. Aus diesem Grund haben einige von uns ihre Bereitschaft erklärt, an jedem Training teilzunehmen, solange es dazu dient, unsere Fähigkeit aufrechtzuerhalten, Teil dieser Verteidigungsarmee zu sein. Doch solange die Besatzung weitergeht, werden wir uns in keiner Weise an den Einsätzen der IDF beteiligen, weder in Zeiten des Krieges noch in Zeiten des Friedens, weder als Soldaten an der Front noch bei den Hilfstruppen im Hinterland.
Übersetzung: Endy Hagen
Gefunden in "Junge Welt", 14.01.2009, Seite 3
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