Amtsgericht Zittau. Steffen
K. (43) muss sich vor Gericht verantworten. Die
Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, gegen den § 29 des
Betäubungsmittelgesetzes verstoßen zu haben. Nach einer Anzeige
durch seine Lebensgefährtin und bei einer danach in seiner Wohnung
durchgeführten Hausdurchsuchung fanden Polizeibeamte auf einem
Wäschetrockner ein komplette Cannabispflanze. Der Angeklagte ist
geständig: „Ja, ich habe - versteckt - in der Nähe des
Olbersdorfer Sees ein Cannabis-Pflanze angebaut, ausschließlich
bestimmt für den eigenen Verbrauch“. Er gibt weiter zu, nicht
täglich, sondern bei Bedarf etwa 0,5 Gramm Cannabis zu konsumieren.
Die abgeerntete Pflanze hätte, so seine Einlassung, mehr als seinen
Jahresbedarf gedeckt. Und: er nehme Cannabis, weil er schon seit etwa
2001 an einer Depression leide. Dieses Mittel ermögliche es ihm
überhaupt, mit den Depressionen klar zu kommen.
Die
Beschreibung dieser ersten etwa 20 Minuten der Verhandlung mag
skurril klingen, aber dieser Eindruck verändert sich im Verlauf der
Verhandlung dramatisch.
2001
arbeitet K. als gelernter Baufacharbeiter noch in Österreich. Bei
einem Heimataufenthalt trinkt er und benutzt betrunken ein Fahrrad,
gerät in eine Kontrolle, wird 2003 dafür schließlich wegen
fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr bestraft. Er verliert
seine Fahrerlaubnis und in der Folge seinen Job. Er ist
alkoholsüchtig. Im gleichen Jahr trennt sich seine Frau von ihm. Ihr
wird das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter übertragen.
Möglicherweise verstärkt das seine Alkohlabhängigkeit. Als er 2004
erstmals nach Großschweidnitz eingewiesen wird, bestätigt eine
Untersuchung, dass hinter der Alkoholsucht eine Depression steckt. K.
wird in der Klinik mit Antidepressiva behandelt und erholt sich.
Allerdings nicht ohne gravierende Nebenwirkungen, beschreibt der
Angeklagte. 2005 und 2008 wird er weitere Male eingewiesen. Doch
diese beiden Versuche bricht er ab bzw. wird aus disziplinarischen
Gründen nach Hause geschickt. Er gilt mittlerweile als
selbstmordgefährdet. Auch sein Vater litt unter Depressionen und
nahm sich mit 54 Jahren das Leben, stell sich heraus. Und er
unternimmt tatsächlich mindestens einen Selbstmordversuch, setzt
sich mit einer Flasche Whisky in seine Küche und dreht den Gashahn
auf. Seine Mutter findet ihn zufällig und rechtzeitig genug.
2008
muss K. erneut bestraft werden. Im Alkoholrausch hat er einen Mann
mit einer Bierflasche niedergeschlagen. Acht Monate Haft ausgesetzt
auf drei Jahre Bewährung, lautet das Urteil. In die letzten Wochen
der Bewährungszeit fällt die neue Straftat nach dem BTMG.
Wahrscheinlich
hat er bereits nach 2008 mit der „Eigenbehandlung“ per Cannabis
begonnen. Cannabis sei für ihn das einzige Mittel, das ihm helfe,
seine Tage erträglich zu gestalten. Doch ist das so? Richter
Ronsdorf befragt eine als Zeugin geladene Großschweidnitzer
Psychiaterin. Die Ärztin meint, es gebe Dutzende sich allerdings
widersprechender Studien zu diesem Thema. Ihrer Meinung nach könne
es durchaus sein, dass bei einer Reihe von Menschen der
Cannabis-Wirkstoff THCP helfe. Sie könne nicht ausschließen, das
die Droge auch ihm tatsächlich helfe.
Seine
seit zwei Jahren neue Lebesgefährtin war früher selbst
alkoholabhängig, kennt Suchtprobleme aus eigenen Erleben, ist aber
nun schon lange „trocken“. Sie teilt seinen Cannabis-Konsum
nicht. Sie reden oft drüber. Als sie ihn in seiner Wohnung besucht,
sieht sie die Cannabispflanze auf dem Wäschetrockner. Sie geht zur
Polizei und erstattet Anzeige. „Ich wollte, das Schluss ist mit dem
Zeug“, erklärt sie vor Gericht. „Wir müssen es anders schaffen,
loszukommen von unseren Süchten.“
Wie
soll man das Ganze nun rechtlich werten. K. ist vorbestraft, nicht
einschlägig zwar. Die Menge (40,3 Gramm THCP) ist fünfmal mehr als
eine „geringfüge Menge“, kann also nicht als minderschwerer Fall
behandelt werden. K. hat jeden weiteren Versuch der medizinischen
Betreuung verweigert und eine positive Sozialprognose kann nicht
angenommen werden. Das Gericht verurteilt K. zu einem Jahr
Freiheitsstrafe und zu den Kosten des Verfahrens. Während der
Verlesung der Urteilsbegründung blickt K. zu seiner Lebensgefährtin,
die im Saal anwesend ist, hebt die Hand in Halshöhe und zieht die
flache Hand halbkreisförmig über die Kehle.
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