11.02.2008

Die Welt erkennen wollen (Buchbesprechung)

Neulich, im Februar, habe ich zum Geburtstag ein kleines Buch geschenkt bekommen: Robert Menasse "Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung" (edition suhrkamp). Weil ich oft Bücher geschenkt bekomme oder auch selber kaufe, hatte ich soviel zu lesen, dass Menasse erst jetzt (im Oktober) dran war.
Robert Menasses kleine Streitschrift haben fünf Poetik-Vorlesungen zum Inhalt, zu denen der Autor in die Frankfurter Universität eingeladen worden war. Die Vorlesungen tragen die Titel "Die Welt, in der ich schreibe", "Die unbeschriebene Welt", "Glaube, Terror - Friede?", Plädoyer für die Gewalt" und fünftens "Die Rettung des Menschen durch die Zerstörung der Welt". Menasse beginnt seine erste Poetik-Vorlesung mit den Sätzen:
"Einen Dichter einzuladen, eine Poetikvorlesung zu halten, ist etwa so sinnvoll, wie einen Kannibalen als Ernährungsberater zu engagieren. Am Ende nagt er an Ihren Knochen, in diesem Fall an den Resten Ihres geistigen Stützapparates."

Was Menasse zu Beginn seiner Vorlesungen noch als vage Möglichkeit in den Raum stellt, tut er in allen fünf Vorträgen mit aller Gründlichkeit. Er nagt konsequent am geistigen Stützapparat seiner Zuhörer, an deren Weltbild oder dem, was diese dafür halten.
"Jeder Mensch hat sein eigenes Schicksal. Sie nicken? Das ist der erste Skandal!"
Schicksal sei ein voraufklärerischer Begriff, der längst schon wieder in unserem Bewußtsein Platz genommen hätte. Globalisierung, die Entdemokratisierung der Europäischen Union, der Verlust des Primates der Politik über die Wirtschaft, die Abwendung von der sozialen Marktwirtschaft und Hinwendung zur absoluten Marktwirtschaft würden hingenommen als Schicksal, als alternativlos, also in einer voraufklärerische Denkweise. Viel zu viele Menschen hätten sich damit abgefunden und beschieden sich heute damit, zähneknirschend zwar, die gesellschaftliche Rückentwicklung in die Zeit der Voraufklärung "pragmatisch" zu begleiten. Und das stimmt wohl, wenn wir die öffentlichen Reaktionen auf das Vorhaben der EU beobachten, in nächster Zeit an Europas Flughäfen sogenannte Nacktscanner einsetzen zu wollen. Dass der Aufschrei gegen den Eingriff selbst in die Privatsphäre ausbleibt, zeigt, was wir schon wieder dabei sind, auch diesen Verstoß gegen die Menschenrechte "pragmatisch" zu begleiten.
Menasse bleibt sich auch in den weiteren vier Vorlesungen treu, fordert gar in der fünften Vorlesung, die Welt wie sie ist, zu zerstören und eine Chance zu eröffnen für ihre Rekonstruktion im Sinne der Aufklärung.
Das hier kurz besprochene Buch kann ich Ihnen nur empfehlen, nicht ans Herz legen, denn es ist eine Schrift für den Verstand und das Denken.
Nach der spannenden Lektüre des Buches hatte ich den Wunsch, mehr zu erfahren über den Autor. Also googelte ich ein wenig. Und hatte ein "Deja vecu". Google fand rund 53.000 Einträge zu Robert Menasse, schon an dritter Stelle einen von Henryk M. Broder. Broder verlieh - so sein Eintrag - an Robert Menasse den "Schmock der Woche" (lt. wikipedia "Spöttische Bezeichnung für einen extravertierten Menschen, der einerseits sich in der Gesellschaft gut zurecht findet, andererseits durch ein entweder rechthaberisches, belehrendes Verhalten oder durch ein opportunistisches Verhalten negativ auffällt. Der Schmock ist häufig eitel oder auch arrogant, ist gleichzeitig aber weder besonders intelligent, gutaussehend noch geistreich". Obwohl von Broder in zunehmenden Maße immer weniger Geistreiches zu lesen ist, wollte ich natürlich wissen, warum Menasse diese Eherung zuteil wurde. Unter der vorprägenden Überschrift "Robert Menasse, schon wieder ein Ostmärker, der die Welt retten will", geht es zunächst einmal gar nicht um Menasse, sondern um den Rechtsanwalt eines anderen Lieblingsfeindes Broders. Also lesen, was Elaborateur Broder da begründet und wie. Zitat: "Seit einem halben Jahr amtiert Y. Michal Bodemann als Schmock der Woche und die Beschwerden meiner Leser werden immer mehr. Nicht gegen die Nominierung an sich, sondern wegen der Dauer. Es müsse doch noch andere würdige Kandidaten geben!. . . Eigentlich käme nur einer in Frage, sein Münchener Anwalt, der mich vor drei Wochen in Reykjavik anrief, um mich nach meiner Adresse zu fragen, weil er mir im Auftrag von Bodemann eine Einstweilige Verfügung zustellen lassen wollte. Eine Super-Leistung für einen Anwalt, der auch die neue Rechtschreibung perfekt beherrscht und »Differmierung« schreibt.
Aha, das sind also die gewichtigen Feinde des Herrn Broder, Leute, die sich Rechtschreibfehler erlauben und damit offensichtlich Herrn Broder zutiefst beleidigen. Neudeutsch Wow! Es muss Broder dann doch nicht genug gewesen sein, es Gewichtigeres sollte es schon sein. Und so kam er - wahrscheinlich ging er seine Denunziationsliste in alphabetischer Reihenfolge durch - dann doch noch auf Menasse. Er stürzt sich just auf die Poetik-Vorlesungen und schrieb: "Menasse fing die erste Vorlesung mit den Worten »Ich bin Gott« an und hätte damit das ganze Projekt auch gleich beenden können, denn wenn einer Gott ist, dann muss er sich nicht erklären und schon gar nicht »Fragen zur poetischen Produktion und ihren Bedingungen« beantworten".
Nun ja, nun wissen wir aber, deswegen auch das Zitat am Textanfang, das die erste Vorlesung eben nicht mit "Ich bin Gott" anfing, sondern mit dem "Nagen am geistigen Stützgerüst". "Ich bin Gott" überschreibt Menasse erst seine fünfte Vorlesung und erläutert auch, wie er das meint. Broder spart sich das bei seiner Schmock-Lautadio. Und deshalb hatte ich das Deja vecu (Schon gesehen, hier besser gerochen). Ich hatte plötzlich einen penetranten Gestand in der Nase. Ich kannte diese Penetranz. Ich war in einen Hundehaufen gelatscht? Wo auch immer ich hinging, immer mit dem Gestank in der Nase, der partout nicht weichen wollte. Und jetzt wieder. Nur klebt mir augenblicklich halt der geistige Dünnschiss des H.M. Broder an der Hacke.
Kaufen Sie sich also das Buch. Und sei es nur um Broder zu ärgern.

Keine Kommentare: