3.15.2007

Schach dem Untergang



Text zum Bild: Trainingsabend beim SV „Ziphona“ Zittau. Am mittleren Brett vor den weissen Figuren der 81-jährige Sektionsleiter Schach, Werner Kießling.

In der Provinz tickt manche Uhr anders als beisielsweise in den Landeshauptstädten. Die "Sächsiche Zeitung" aus Dresden vermeldet: „Das Ramada Hotel Dresden ist wieder in der Hand der Schach-Senioren. Alljährlich tragen sie ihre Team-Europameisterschaft aus. Turnierdirektor Dr. Dirk Jordan und seine Mitstreiter erwarten 52 Mannschaften – das ist Rekord. „In dem Turnier ist richtig Pfeffer drin“, sagte der Chef der Schacholympiade 2008 in Dresden“.
Die Schachspieler vom Schachsportverein "Ziphona Zittau", des letzten Zittauer Schachvereins überhaupt, treiben ganz andere Dinge um und vom "Ramada" können Sie allenfalls träumen. Ihr Sportdomiziel ist das Sport- und Freizeitzentrum (SFZ) an der Zittauer Schrammstrasse und ganz gewiss ist es nicht in ihrer Hand. Die Schachspieler teilen sich auch an diesem Übungs-Abend das SFZ mit den Gästen einer Geburtstagsfeier, in einem anderen Raum amüsieren sich die Teilnehmer eines Club-Abends. Die Spieler vom „SV Ziphona“ schieben davon augenscheinlich unberührt mehrere Tische in eine Reihe, holen ihre Bretter und Figuren. Ein paar Minuten später sitzen sie sich paarweise gegenüber: „Weiss zieht“.
Mir gegenüber sitzt Werner Kießling. Er ist der Sektionsleiter Schach beim „SV Ziphona“ und 81 Jahre alt.
Schach spielt Kießling seit 55 Jahren, war von Anfang an im selben Verein, der 1952 gegründet wurde und „Motor Mitte Zittau“ hieß, später dann „Ziphona“ hieß. Sektionsleiter Schach ist Kießling auch schon seit 1961, 20 Jahre hat er den Nachwuchs betreut.
„Derzeit ist unser jüngster Spieler 31 Jahre jung“, erzählt der Sektionsleiter und macht damit auf ein Überlebensproblem für seinen Verein aufmerksam. Es fehlt der Nachwuchs. Schach gespielt wird von jungen Leuten heute vor allem in eigenen Schulmannschaften. Wer nicht mehr Schüler ist, geht gleich in einen Schach-Sportverein, der höherklassiger spielt, beispielsweise zum TSV Großschönau. Die Chancen, sportlich schneller voran zu kommen, die sind dort einfach besser. Das dachten sich vor zwei Jahren wohl auch die Spieler einer anderen erfolgreichen Männermannschaft vom „SV Ziphona“. Sie kehrten ihrem Verein den Rücken.
„Heute haben wir noch eine Vierer-Männermannschaft, die in der Kreisklasse spielt und momentan sogar auf einem vorderen Platz“, sagt Werner Kießling. Sie seien sich aber nicht sicher, ob sie sich den Aufstieg wünschen sollten. „Für die nächst höhere Spielklasse haben wir weder die finanziellen noch die personellen Reserven“, skizziert Kießling die augenblickliche Lage. Was er damit meint, wird klar, wenn man sich die Altersstruktur des Vereins ansieht. Von den 16 aktiven Spielern sind zwölf älter als 60 und davon die meisten zwischen 70 und 80 Jahren. Stiegen die Männer von „Ziphona“ tatsächlich auf, begännen die Probleme erst. „Die Spielorte lägen weiter weg und wären für uns schwerer zu erreichen. Nicht jeder von uns fährt Auto und der öffentliche Nahverkehr bringt uns auch nicht viel weiter. Wir haben pro Vereinsmitglied 15 Euro zur Verfügung. Wie viel mal könnten wir damit Bus oder Bahn fahren?“
Angesichts all dieser wenig beglückenden Umstände ist die spür- und sichtbare Unverdrossenheit, mit der die Männer vom „SV Ziphona“ an ihrem Verein festhalten verblüffend. Sie trainieren jeden Montag im SFZ, um die eigene Spielfähigkeit und die der aktiven Mannschaft auf der Höhe der Anforderungen zu halten. Oder sie organisieren – meist um Weihnachten herum – Preisturniere im Blitzschach, zu denen sie sich Gastmannschaften und Einzelspieler einladen. Mit manchem reden sie dann auch: „Spiel mit bei uns“. Und manchmal trägt genau das Früchte. So etwa wie bei Wolfram Rolle, dem mit 31 Jahren derzeit jüngsten Spieler.
Mit mir haben Sie auch geredet. Ich aber habe vom Schachspiel soviel Ahnung wie ein Wildschwein vom Stabhochsprung.
Also reden wir zum Schluss übers Wünschen. „Na ja“, sagt Werner Kießling, „wir wissen, dass viele Schachfreunde nur in der Familie, manche auch nur Fernschach spielen oder neuerdings auch gegen ein Computerprogramm. Wir wünschten uns, dass diese Schachfreunde zu uns kämen. Und wir wünschten uns, dass vielleicht auch wieder ein paar junge Leute bei uns anklopfen“.

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